kuper.jpg

2024/11/12 - 17:45

Oktavheft A (I, 17)

Unverbrüchlicher Traum.

Sie lief die Landstraße entlang, ich sah sie nicht, ich saß am Feldrand und blickte in das Wasser des kleinen Baches. Sie durchlief die Dörfer, Kinder standen in den Türen, sahen ihr entgegen und sahen ihr nach.

Zerrissener Traum.

Die Laune eines früheren Fürsten hatte bestimmt, das Mausoleum müsse unmittelbar bei den Sarkophagen einen Wächter haben. Vernünftige Männer hatten sich dagegen ausgesprochen, schließlich ließ man den sonst vielfach beengten Fürsten in dieser Kleinigkeit gewähren. Ein Invalide aus einem Krieg des vorigen Jahrhunderts, Witwer und Vater dreier Söhne, die im letzten Krieg gefallen waren, meldete sich für den Posten. Er wurde angenommen und von einem alten Hofbeamten in das Mausoleum begleitet. Eine Waschfrau folgte ihnen beladen mit verschiedenen Dingen, welche für den Wächter bestimmt waren. Bis zur Allee, welche dann geradeaus zum Mausoleum führte, hielt der Invalide trotz seiner Stelze mit dem Hofbeamten gleichen Schritt. Dann aber versagte er ein wenig, hüstelte und begann sein linkes Bein zu reiben. "Nun Friedrich", sagte der Hofbeamte der mit der Waschfrau ein Stück vorausgegangen war und sich nun umsah. "Mich reißt es im Bein", sagte der Invalide und machte eine Fratze, "nur einen Augenblick Geduld, das pflegt gleich aufzuhören."

engste Bühne frei nach oben

Kleines Arbeitszimmer, ein hohes Fenster, davor ein kahler

Baumwipfel.

Fürst (am Schreibtisch im Lehnstuhl zurückgelehnt, aus dem Fenster blickend)

Adjutant (weißer Vollbart, jugendlich in ein enges Jakett gezwängt, an der Wand, neben der Mitteltür)

Kleine Pause.

Fürst (sich vom Fenster abwendend, gegen den Adjutanten) Nun?

Adjutant Ich kann es nicht empfehlen Hoheit.

Fürst Warum

Adjutant Ich kann im Augenblick meine Bedenken nicht

genau formulieren, es ist bei weitem nicht alles was ich sagen

will, wenn ich jetzt nur den allgemein menschlichen Spruch

anführe: Man soll die Toten ruhen lassen.

Fürst Das ist auch meine Absicht.

Adjutant Dann habe ich es nicht richtig verstanden.

Fürst So scheint es.

Pause

Fürst Das Einzige, was Sie in der Sache beirrt, ist vielleicht nur die Sonderbarkeit, daß ich die Anordnung nicht ohne weiters getroffen, sondern vorher Ihnen angekündigt habe.

Adjutant Die Ankündigung legt mir allerdings eine größere Verantwortung auf, der zu entsprechen ich mich bemühen muß.

Fürst (ärgerlich) Nichts von Verantwortung.

Pause

Fürst Also nochmals. Bisher wurde das Mausoleum im Friedrichspark von einem Wächter bewacht, der am Eingang des Parkes ein Häuschen hat, in dem er mit seiner Familie wohnt. War an diesem Ganzen etwas auszusetzen?

Kammerherr Gewiß nicht. Das Mausoleum ist über vierhundert Jahre alt und so lange wird es auch in dieser Weise bewacht.

Fürst Es könnte ein alter Mißbrauch sein. Es ist aber kein Mißbrauch?

Kammerherr Es ist eine notwendige Einrichtung.

Fürst Also eine notwendige Einrichtung. Nun habe ich aber gefunden, der Wächter oben im Park genügt nicht, es muß vielmehr auch ein Wächter unten in der Gruft wachen. Es wird vielleicht kein angenehmes Amt sein, besonders da die Gruft immer auch von außen verschlossen sein muß. Aber erfahrungsgemäß finden sich für jeden Posten bereitwillige und geeignete Leute.

In Deiner Nähe sich auszuruhn ist das Größte, was ein Diener erreichen kann.

Um den Fürsten zu besuchen

Erzählung des Großvaters

Ich war zu den Zeiten des seligen Fürsten Leo V Wächter des Mausoleums im Friedrichspark. Natürlich bin ich nicht gleich Mausoleumswächter geworden. Noch ganz genau erinnere ich mich wie ich als Laufbursche der fürstlichen Meierei zum erstenmal die Milch am Abend zur Mausoleumswache tragen sollte. "Oh", dachte ich, "zur Mausoleumswache. " Weiß denn jemand genau was Mausoleum ist

Ich war Mausoleumswächter und sollte es also wissen, aber eigentlich weiß ich es nicht. Und ihr die ihr meine Geschichte höret, werdet am Schluß erkennen, daß ihr, selbst wenn ihr zu wissen glaubtet was Mausoleum ist, gestehen müßt, ihr wüßtet es nicht mehr. Damals aber kümmerte ich mich darum noch wenig, sondern war nur ganz allgemein stolz darauf zur Mausoleumswache geschickt worden zu sein. Und so galoppierte ich gleich mit meinem Milcheimer durch die Nebel der Wiesenwege, die zum Friedrichspark führten. Vor dem goldenen Gittertor staubte ich meine Jacke ab, reinigte die Stiefel, wischte die Feuchtigkeit vom Eimer, läutete dann und lauerte die Stirn an den Gitterstäben darauf was jetzt geschehen werde. Zwischen Gesträuch auf einer kleinen Anhöhe schien das Wächterhaus zu sein, ein Licht kam aus einem sich öffnenden Türchen und ein ganz altes Frauenzimmer öffnete das Tor, nachdem ich mich gemeldet und zum Beweis der Wahrheit den Eimer gezeigt hatte. Ich mußte dann vorausgehn aber genau so langsam wie die Frau, es war sehr unbehaglich, denn sie hielt mich hinten fest und blieb auf dem kurzen Wege zweimal stehn, um Atem zu holen. Oben auf einer Steinbank neben der Tür saß ein riesiger Mann, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände vor der Brust gekreuzt, den Kopf zurückgelehnt und hielt den Blick auf das knapp vor ihm stehende Buschwerk gerichtet, das ihm jede weitere Aussicht benahm. Ich sah unwillkürlich fragend die Frau an. "Das ist der Mameluck", sagte sie, "weißt Du es nicht?" Ich schüttelte den Kopf, staunte den Mann noch einmal an, besonders seine hohe Mütze aus Krimmerpelz, dann aber wurde ich von der Alten ins Haus gezogen. In einer kleinen Stube saß bei einem sehr ordentlich mit Büchern bedeckten Tisch ein alter bärtiger Herr im Schlafrock und sah unter der Glocke der Stehlampe hinweg nach mir hin. Ich glaubte natürlich nicht richtig gegangen zu sein und drehte mich um, wollte wieder aus der Stube hinaus, aber die Alte versperrte mir den Weg und sagte zum Herrn: "Der neue Milchjunge." "Komm her Du kleine Krabbe", sagte der Herr und lachte. Ich saß dann auf einem kleinen Bänkchen bei seinem Tisch und er brachte sein Gesicht ganz nahe an meines. Leider war ich infolge der freundlichen Behandlung etwas vorlaut geworden und sagte:

Auf dem Dachboden

Die Kinder hatten ein Geheimnis. Auf dem Dachboden in einem tiefen Winkel inmitten des Gerümpels eines ganzen Jahrhunderts, wohin kein Erwachsener mehr sich tasten konnte, hatte Hans, der Sohn des Advokaten, einen fremden Mann entdeckt. Er saß auf einer Kiste, die der Länge nach aufgestellt an der Wand lehnte. Sein Gesicht zeigte, als er Hans erblickte, weder Schrecken noch Staunen, sondern nur Stumpfheit, mit klaren Augen beantwortete er Hansens Blick. Eine große runde Mütze aus Krimmerpelz saß tief auf seinem Kopf. Ein starker Schnurrbart breitete sich steif aus. Gekleidet war er in einen weiten braunen Mantel, den ein mächtiges Riemenzeug, es erinnerte an das Geschirr eines Pferdes, zusammenhielt. Auf dem Schoß lag ein gebogener kurzer Säbel in mattleuchtender Scheide. Die Füße staken in gespornten Schaftstiefeln, ein Fuß war auf eine umgestürzte Weinflasche gestellt, der andere auf dem Boden war etwas aufgerichtet und mit Ferse und Spore ins Holz gerammt. "Weg", schrie Hans, als der Mann mit langsamer Hand nach ihm greifen wollte, lief weit in die neuern Teile des Dachbodens und blieb erst stehn als ihm die dort zum Trocknen aufgehängte Wäsche naß ins Gesicht klatschte. Dann aber kehrte er doch gleich wieder zurück. Mit gewissermaßen verächtlich aufgestülpter Unterlippe saß der Fremde dort und rührte sich nicht. Hans prüfte durch vorsichtiges Heranschleichen, ob diese Bewegungslosigkeit nicht Hinterlist sei. Aber der Fremde schien wirklich nichts böses zu beabsichtigen, ganz schlaff saß er da, vor lauter Schlaffheit nickte sein Kopf kaum merklich. So wagte es Hans einen alten durchlöcherten 0fenschirm, der ihn noch von dem Fremden trennte, wegzuschieben, ganz nahe heranzutreten und schließlich sogar ihn zu berühren. "So staubig bist Du!" sagte er staunend und zog seine geschwärzte Hand zurück. "Ja, staubig", sagte der Fremde, sonst nichts. Es war eine ungewöhnliche Aussprache, erst im Nachklang verstand Hans die Worte. "Ich bin Hans", sagte er, "der Sohn des Advokaten und wer bist Du. " "So", sagte der Fremde, "ich bin auch ein Hans, heiße Hans Schlag, bin badischer Jäger und stamme von Koßgarten am Neckar. Alte Geschichten. "

Der Unfrieden, der zwischen Hans und seinem Vater seit jeher bestand, war nach dem Tode der Mutter zu derartigem Ausbruch gekommen, daß Hans aus dem Geschäft des Vaters austrat, ins Ausland fuhr, einen kleinen Posten, der sich ihm dort zufällig darbot, sofort wie geistesabwesend annahm und jeder Verbindung mit dem Vater, sei es durch Briefe sei es durch Bekannte mit solchem Erfolg auswich, daß er von dem Tode des Vaters, der etwa zwei Jahre nach seiner Abreise durch Herzschlag erfolgte, erst durch den Brief des Advokaten erfuhr, der ihn von der Hinterlassenschaft verständigte. Hans war zwar zum einzigen Erben bestimmt worden, aber die Hinterlassenschaft war mit Schulden und Legaten so überlastet, daß für ihn, wie er schon nach oberflächlicher Schätzung merkte, kaum mehr erübrigen konnte, als das elterliche Wohnhaus. Das war nicht viel: ein alter einfacher einstöckiger Bau, aber Hans hieng sehr an dem Haus, auch hielt ihn nach dem Tode des Vaters hier in der Fremde nichts mehr, dagegen erforderte die Abwicklung der Hinterlassenschaftsgeschäfte seine Anwesenheit dringend, er löste deshalb sofort seine Verpflichtungen, was nicht schwer war, und fuhr nachhause. Es war spät an einem Dezemberabend, alles lag im Schnee, als Hans bei dem Elternhaus vorfuhr. Der Hausmeister, der ihn erwartet hatte, trat von seiner Tochter gestützt aus dem Tor, es war ein gebrechlicher Greis, der schon Hansens Großvater gedient hatte. Man begrüßte einander, allerdings nicht sehr herzlich, denn Hans hatte im Hausmeister immer nur einen einfältigen Tyrannen seiner Kinderjahre gesehn und die Demut, mit der er sich ihm jetzt näherte war ihm peinlich. Er sagte der Tochter, die ihm über die steile enge Treppe das Gepäck nachtrug, in ihres Vaters Lage und Einkommen werde sich ohne Rücksicht auf das Legat, das er erhalten habe nicht das Geringste ändern. Die Tochter dankte unter Tränen und gestand, daß damit die Hauptsorge ihres Vaters beseitigt sei, die ihn seit dem Tode des seligen Herrn kaum habe schlafen lassen. Dieser Dank brachte Hans erst zum Bewußtsein, was für Unannehmlichkeiten aus der Erbschaft für ihn entstanden und weiter noch entstehen könnten. Umsomehr freute er sich auf das Alleinsein in seiner alten Stube und im Vorgefühl dessen streichelte er sanft den Kater, der als erste ungetrübte Erinnerung aus vergangenen Zeiten in seiner ganzen Größe an ihm vorüberhuschte. Nun wurde aber Hans nicht in sein Zimmer geführt, das nach seiner brieflichen Anordnung für ihn hätte vorbereitet werden sollen, sondern in das frühere Schlafzimmer des Vaters. Er fragte warum das geschehen sei. Das Mädchen noch schweratmend vom Tragen der Last stand ihm gegenüber, sie war groß und kräftig geworden in den zwei Jahren und auffallend klar war ihr Blick. Sie bat um Entschuldigung. In Hansens Zimmer sei nämlich sein Onkel Theodor eingerichtet und man habe den alten Herrn nicht stören wollen, besonders da doch dieses Zimmer größer und auch behaglicher sei. Die Nachricht daß Onkel Theodor im Hause wohnte war für Hans neu.

Kammerherr Natürlich wird alles was Hoheit anordnen

ausgeführt werden, auch wenn die Notwendigkeit der Anordnung nicht begriffen wird.

Fürst (auffahrend) Notwendigkeit! Ist denn die Wache am Parktor notwendig? Der Friedrichspark ist ein Teil des Schloßparks, ist von ihm ganz umfaßt, der Schloßpark selbst ist reichlich sogar militärisch bewacht. Wozu also die besondere Bewachung des Friedrichsparks? Ist sie nicht eine bloße Formalität? Ein freundliches Sterbelager für den armseligen Greis, der dort die Wache besorgt?

Kammerherr Es ist eine Formalität, aber eine notwendige, Bezeugung der Ehrfurcht vor den großen Toten.

Fürst Und eine Wache in der Gruft selbst?

Kammerherr Sie hätte meiner Meinung nach einen polizeilichen Nebensinn, sie wäre wirkliche Bewachung unwirklicher dem Menschlichen entrückter Dinge.

Fürst (steht auf) Diese Gruft ist in meiner Familie die Grenze zwischen dem Menschlichen und dem andern und an diese Grenze will ich eine Wache stellen. Über die, wie Sie sich ausdrücken, polizeiliche Notwendigkeit dessen können wir den Wächter selbst verhören. Ich habe ihn kommen lassen. (Läutet)

Kammerherr Es ist, wenn Hoheit mir die Bemerkung erlauben, ein verwirrter Greis, schon außer Rand und Band.

Fürst Ist es so, dann wäre dies nur ein weiterer Beweis für die Notwendigkeit einer Verstärkung der Wache in meinem Sinn.

Diener

Fürst Der Gruft-Wächter!

Der Diener führt den Wächter herein, hält ihn unter dem

Arm fest, sonst würde er zusammenstürzen. Alte rote weit

ihn umschlotternde Festlivree, blankgeputzte Silberknöpfe,

verschiedene Ehrenzeichen. Kappe in der Hand. Unter den

Blicken der zwei Herren zittert er.

Fürst Auf das Ruhebett!

Diener legt ihn hin und geht.

Pause, nur leises Röcheln des Wächters.

Fürst (wieder im Lehnstuhl) Hörst Du?

Wächter bemüht sich zu antworten, kann nicht, ist zu erschöpft, sinkt wieder zurück.

Fürst Suche Dich zu fassen, wir warten.

Kammerherr (zum Fürsten gebeugt) Worüber könnte dieser Mann Auskunft geben, und gar glaubwürdige oder wichtige Auskunft. Der Diener hätte ihn besser im Bett lassen

sollen.

Fürst Er war nicht im Bett.

Wächter Nicht im Bett, nicht im Bett – bin noch kräftig –

verhältnismäßig – stelle noch meinen Mann.

Fürst Es sollte so sein. Du bist ja erst sechzig Jahre alt.

Allerdings siehst Du sehr schwach aus.

Wächter Werde mich gleich erholt haben Hoheit, gleich

erholt haben.

Fürst Es war kein Vorwurf. Ich bedauere nur, daß es Dir so

schlecht geht. Hast Du über etwas zu klagen?

Wächter Schwerer Dienst – Hoheit – schwerer Dienst –

klage nicht aber entkräftet sehr – Ring – kämpfe jede

Nacht.

Fürst Was sagst Du?

Wächter Schwerer Dienst.

Fürst Du sagtest noch etwas.

Wächter Ringkämpfe.

Fürst Ringkämpfe? Was für Ringkämpfe denn?

Wächter Mit den seligen Vorfahren.

Fürst Das verstehe ich nicht. Hast Du schwere Träume? Wächter Keine Träume, Hoheit, schlafe ja gar nicht in der Nacht.

Fürst Dann erzähle also von diesen – diesen Ringkämpfen.

Wächter schweigt.

Fürst (zum Kammerherrn) Warum schweigt er? Kammerherr (eilt zum Wächter) Es kann ja jeden Augenblick mit ihm zu Ende sein.

Fürst (steht auf, bleibt aber beim Tisch)

Wächter (als ihn der Kammerherr berührt) Weg, weg, weg (kämpft mit den Fingern des Kammerherrn, wirft sich dann weinend hin).

Fürst Wir quälen ihn.

Kammerherr Womit?

Fürst Ich weiß nicht.

Kammerherr Der Weg ins Schloß, die Vorführung, der Anblick Eurer Hoheit, die Fragestellung – dem allen hat er nicht mehr genug Verstand entgegenzusetzen.

Fürst (sieht immerfort nach dem Wächter hin) Das ist es nicht. (geht zum Ruhebett, beugt sich zum Wächter, nimmt seinen kleinen Schädel zwischen die Hände) Mußt nicht weinen. Warum weinst Du denn? Wir sind Dir wohlgesinnt. Ich selbst halte Dein Amt nicht für leicht. Gewiß hast Du Dir Uerdienste um mein Haus erworben. Also weine nicht mehr und erzähle.

Wächter schreit: Wenn ich mich aber vor dem Herrn dort so fürchte (sieht den Kammerherrn nicht furchtsam, sondern drohend an).

Fürst Er fürchtet sich vor Ihnen, Sie müssen fortgehn, wenn er erzählen soll, ich lasse Sie dann rufen.

Kammerherr Sehen Sie doch Hoheit, er hat Schaum vor

dem Mund, er ist schwer krank.

Fürst (zerstreut) Ja, gehen Sie, es dauert nicht lange.

Kammerherr geht.

Fürst (setzt sich auf den Rand des Ruhebettes)

Pause

Fürst Warum hast Du Dich vor ihm gefürchtet?

Wächter (auffallend gesammelt) Ich habe mich nicht gefürchtet. Vor einem Diener mich fürchten?

Fürst Er ist kein Diener, er ist ein Graf, frei und reich.

Wächter Doch nur ein Diener, Du bist der Herr.

Fürst (lächelt) Wenn Du es so willst. Du selbst sagtest aber, daß Du Dich fürchtest.

Wächter Dinge vor ihm zu erzählen, die nur Du erfahren sollst. Habe ich nicht schon zu viel vor ihm gesagt?

Fürst Wir sind also Vertraute und ich habe Dich doch heute zum erstenmal gesehn.

Wächter Gesehn zum erstenmal. Aber seit jeher weißt Du daß ich das (gehobener Zeigefinger) wichtigste Hofamt habe. Du hast es ja auch öffentlich anerkannt, indem Du mir die Medaille "Feuerrot" verliehen hast. Hier. (Hebt die Medaille vom Rock)

Fürst (lächelt) Nein, das ist eine Medaille für fünfundzwanzigjährige Hofdienste, die hat Dir noch mein Großvater gegeben, ich werde Dich aber auch auszeichnen.

Wächter (unbeirrt) Tue wie es Dir gefällt und der Bedeutung meiner Dienste entspricht. Dreißig Jahre diene ich Dir als Gruftwächter.

Fürst Nicht mir, meine Regierung dauert kaum ein Jahr.

Wächter (in Gedanken) Dreißig Jahre.

Pause

Wächter (sich halb zu der Bemerkung des Fürsten zurückfindend) Nächte dauern dort Jahre.

Fürst Aus Deinem Amt kam mir noch kein Bericht. Wie ist

der Dienst

Wächter Gleichförmig jede Nacht. Jede Nacht nahe bis

zum Platzen der Halsadern.

Fürst Ist es denn nur Nachtdienst Nachtdienst für Dich

Alten?

Wächter Das ist es eben, Hoheit. Es ist Tagdienst. Ein

Faulenzerposten. Man sitzt vor der Haustür und hält im

Sonnenschein den Mund offen. Manchmal tappt Dir der

Wächterhund mit den Vorderpfoten aufs Knie und legt sich

wieder. Das ist die ganze Abwechslung.

Fürst Also.

Wächter (nickend) Aber es ist in Nachtdienst umgewandelt

worden.

Fürst Von wem denn?

Wächter Von den Gruftherren.

Fürst Du kennst sie?

Wächter Ja.

Fürst Sie kommen zu Dir?

Wächter Ja.

Fürst Auch in der letzten Nacht

Wächter Auch.

Fürst Wie war es?

Wächter Wie immer. (setzt sich aufrecht)

Fürst steht auf.

Wächter Wie immer. Bis Mitternacht ist Ruhe. Ich liege –

verzeih mir – im Bett und rauche die Pfeife. Im Bett nebenan

schläft mein Tochterkind. Um Mitternacht klopft es das erste

Mal an’s Fenster. Ich sehe nach der Uhr, immer pünktlich.

Noch zweimal klopft es, es mischt sich mit den Uhrschlägen

vom Turm und ist nicht schwächer. Das sind nicht menschliche Fingerknöchel. Ich allerdings kenne das alles und rühre

mich nicht. Dann räuspert es sich draußen als wundere sich

jemand daß ich das Fenster nicht öffne. Jede Nacht wundert er sich. Möge sich die fürstliche Hoheit wundern! Noch ist der alte Wächter da. (zeigt die Faust)

Fürst Du drohst mir?

Wächter (versteht nicht gleich) Nicht Dir, dem vor dem Fenster.

Fürst Wer ist es?

Wächter Er zeigt sich gleich. Mit einem Schlage öffnen sich die beiden Fenster und der Fensterladen. Knapp habe ich noch Zeit meinem Tochterkind die Decke über das Gesicht zu werfen. Sturm bläst herein, verlöscht das Licht im Nu. Herzog Friedrich! Sein Gesicht mit Haar und Bart erfüllt mein armes Fenster ganz und gar. Wie hat er sich entwickelt in den Jahrhunderten. Wenn er den Mund zum Reden öffnet, weht ihm der Wind den alten Bart zwischen die Zähne und er beißt in ihn.

Fürst Warte. Du sagst Herzog Friedrich. Welcher Friedrich? Wächter Herzog Friedrich, nur Herzog Friedrich.

Fürst Er nennt so seinen Namen?

Wächter (ängstlich) Nein, er nennt ihn nicht –

Fürst Woher kennst Du (abbrechend) erzähle also weiter.

Wächter Soll ich weiter erzählen?

Fürst Natürlich, erzähle, das geht mich ja sehr viel an, es ist hier ein Fehler in der Arbeitsverteilung, Du warst überlastet. Wächter (niederkniend) Nicht mir meinen Posten nehmen Hoheit! Wenn ich so lange für Dich gelebt habe, laß mich jetzt auch für Dich sterben. Laß nicht vor mir das Grab vermauern, zu dem ich strebe. Ich diene gern und habe noch Fähigkeit zu dienen. Eine Audienz wie die heutige gibt mir Kraft für zehn Jahre. Laß mir dann nur wieder wie heute das größte Glück eines Dieners zuteil werden, bei seinem Herrn einmal auszuruhn.

Fürst (setzt ihn wieder auf das Ruhebett) Niemand nimmt

Dir Deinen Posten. Wie könnte ich dort Deine Erfahrung entbehren. Ich werde aber noch einen Wächter bestimmen und Du wirst Oberwächter werden.

Wächter Genüge ich nicht? Habe ich jemals einen durchgelassen?

Fürst In den Friedrichspark?

Wächter Nein, aus dem Park. Wer will denn hinein Bleibt einmal einer vor dem Gitter stehn, winke ich mit der Hand aus dem Fenster und er läuft davon. Aber heraus, heraus wollen alle. Nach Mitternacht kannst Du alle Grabesstimmen um mein Haus versammelt sehn. Ich glaube nur weil sie sich so aneinander drängen fahren sie nicht sämtlich mit allem was sie sind mir durch das enge Fensterloch herein. Wird es allerdings zu arg, hole ich die Laterne unter dem Bett heraus, schwenke sie hoch und sie reißen sich, unverständliche Wesen, mit Lachen und Jammern auseinander, noch am Ende des Parks im letzten Busch hör’ ich sie dann rauschen. Aber bald sammeln sie sich wieder.

Fürst Und sie sagen ihre Bitte.

Wächter Zuerst befehlen sie. Herzog Friedrich vor allen. So zuversichtlich sind keine Lebendigen. Seit dreißig Jahren jede Nacht erwartet er mich diesmal mürbe zu finden.

Fürst Wenn er seit dreißig Jahren kommt, dann kann es nicht Herzog Friedrich sein, der erst vor fünfzehn Jahren gestorben ist. Er ist aber der einzige dieses Namens in der Gruft.

Wächter (zusehr schon von dem Erzählten erfaßt) Das weiß ich nicht Hoheit, ich habe nicht studiert. Ich weiß nur wie er beginnt. "Alter Hund", beginnt er beim Fenster, "die Herren klopfen und Du bleibst in Deinem Schmutzbett." Gegen Betten haben sie nämlich immer Zorn. Und nun sprechen wir jede Nacht fast dasselbe. Er draußen, ich ihm gegenüber mit dem Rücken an der Tür. Ich sage: "Ich habe nur Tagdienst." Der Herzog wendet sich und ruft in den Park: "Er hat nur Tagdienst." Daraufhin gibt es ein allgemeines Lachen des versammelten Adels. Dann sagt der Herzog wieder zu mir: "Es ist doch Tag." Ich darauf kurz: "Sie irren." Der Herzog: "Tag oder Nacht, öffne das Tor." Ich: "Das ist gegen meine Dienstordnung. " Und ich zeige mit dem Pfeifenstock auf ein Blatt an der Wand. Der Herzog: "Du bist doch unser Wächter." Ich: "Euer Wächter, aber vom regierenden Fürsten angestellt." Er: "Unser Wächter, das ist die Hauptsache. Also öffne undzwar sofort. " Ich: "Nein. " Er: "Narr, Du verlierst Deinen Posten, Herzog Leo hat uns für heute eingeladen. "

Fürst (schnell) Ich?

Wächter Du.

Pause

Wenn ich Deinen Namen höre, verliere ich meine Festigkeit. Deshalb habe ich mich gleich aus Vorsicht an die Tür gelehnt. Draußen singen alle Deinen Namen. "Wo ist die Einladung?" frage ich schwach. "Bettvieh", schreit er und erweckt mich ohne es zu wollen, "Du zweifelst an meinem herzoglichen Wort?" Ich sage: "Ich habe keine Weisung und deshalb öffne ich nicht, öffne ich nicht, öffne ich nicht. " "Er öffnet nicht", ruft der Herzog draußen, "also vorwärts, alle, die ganze Dynastie, gegen das Tor, wir öffnen selbst. " Und im Augenblick ist es vor meinem Fenster leer.

Pause

Fürst Das ist alles?

Wächter Wie denn? Jetzt erst kommt mein eigentlicher Dienst. Hinaus aus der Tür, herum um das Haus, und schon pralle ich mit dem Herzog zusammen und schon schaukeln wir im Kampf. Er so groß, ich so klein, er so breit, ich so schmal, ich kämpfe nur mit seinen Füßen, aber manchmal hebt er mich und dann kämpfe ich auch oben.

Um uns sind alle seine Genossen im Kreis und verlachen mich. Einer schneidet z. B. hinten meine Hose auf und nun spielen alle mit meinem Hemdzipfel während ich kämpfe. Unbegreiflich warum sie lachen, da ich doch bisher immer gewonnen habe.

Fürst Wie ist es aber möglich, daß Du gewinnst. Hast Du Waffen

Wächter Nur in den ersten Jahren nahm ich Waffen mit. Was könnten sie mir ihm gegenüber helfen, sie beschwerten mich nur. Wir kämpfen nur mit den Fäusten, oder eigentlich nur mit der Atemkraft. Und immer bist Du in meinen Gedanken.

Pause

Wächter Aber niemals zweifle ich an meinem Sieg. Nur manchmal fürchte ich, daß er mich zwischen seinen Fingern verlieren könnte und er nicht mehr wissen wird, daß er kämpft.

Fürst Und wann hast Du gesiegt?

Wächter Wenn es morgen wird. Dann wirft er mich hin und speit mir nach, das ist sein Bekenntnis der Niederlage. Ich aber muß noch eine Stunde liegen, ehe ich den richtigen Atem erschnappe.

Pause

Fürst (steht auf) Aber sag, weißt Du nicht, was sie alle eigentlich wollen?

Wächter Aus dem Park hinaus.

Fürst Warum aber?

Wächter Das weiß ich nicht.

Fürst Hast Du sie nicht gefragt?

Wächter Nein.

Fürst Warum?

Wächter Ich habe Scheu davor, wenn Du es aber willst

werde ich sie heute fragen.

Fürst (erschrickt, laut) Heute!

Wächter (sachverständig) Ja heute.

Fürst Und Du ahnst auch nicht was sie wollen?

Wächter (nachdenklich) Nein.

Pause

Wächter Manchmal, vielleicht sollte ich das noch sagen, kommt früh während ich so ohne Atem liege, ich bin dann auch zu schwach um die Augen zu öffnen, ein zartes feucht und haarig anzufühlendes Wesen zu mir, eine Nachzüglerin, Comtesse Isabella. Sie betastet mich an vielen Stellen, greift in den Bart, fährt in ihrer Gänze mir am Hals unterm Kinn vorbei und pflegt zu sagen: "Die andern nicht, aber mich, aber mich laß hinaus." Ich schüttle den Kopf so viel ich kann. "Zum Fürsten Leo, um ihm die Hand zu reichen." Ich höre nicht auf, den Kopf zu schütteln. >>Aber mich, aber mich" höre ich noch, dann ist sie weg. Und mein Tochterkind kommt mit Decken, wickelt mich ein und wartet bei mir, bis ich selbst gehen kann. Ein außerordentlich gutes Mädchen.

Fürst Ein unbekannter Name, Isabella.

Pause

Fürst Die Hand mir zu reichen. (stellt sich zum Fenster, blickt hinaus)

Pause

Fürst (zum Tisch zurück, läutet)

Diener

Fürst Der Kammerherr.

Kammerherr tritt ein, gleichzeitig fällt Wächter mit kleinem Schrei vom Ruhebett.

Fürst (springt hinzu) Ewige Unvorsichtigkeit! Ich hätte

es bedenken sollen! Der Arzt! Die Diener!

Kammerherr ab, gleich zurück mit Dienern, bleibt bei der

offenen Tür.

Fürst (beim Wächter kniend) Wasser her! Bereitet ein Bett für ihn! Wo Ihr wollt. Neben meinem Schlafzimmer. Holt eine Bahre. Kommt der Arzt? Wie lange er ausbleibt! Der Puls ist so schwach. Das nicht zu erfühlende Herz! Das jämmerliche Rippenwerk! Wie abgebraucht das alles ist. Und doch schon besserer Atem. Ein gesunder Stamm, noch im letzten Elend versagt er nicht. Aber der Arzt! Wird er denn niemals kommen. (Blickt zur Tür, Wächter hebt die Hand, streichelt einmal des Fürsten Wange)

Obersthofmeister tritt langsam ein, bleibt bei der Tür (jüngerer Mann, Offiziersuniform, ruhig beobachtender Blick, sagt laut) Der Arzt kann erst in einer Viertelstunde kommen. Er ist ausgefahren. Ein Reiter wurde ihm nachgeschickt.

Fürst (beherrschter, mit einem Blick auf Wächter) Wir können schon warten. Er ist ruhiger.

Diener mit Bahre

Fürst (steht auf, zum Obersthofmeister) Auch Sie kamen her.

Obersthofmeister Ich sah die Aufregung auf den Gängen. Ich mußte glauben, es sei ein Unglück geschehn.

Fürst (ohne zu antworten, bei den Bahrenträgern, hilft beim Aufladen) Faßt ihn sanft an. Ach, mit Eueren Tatzen. Den Kopf ein wenig heben. Näher die Bahre. Das Kissen tiefer unter den Rücken. Den Arm! Den Arm! Ihr seid schlechte, schlechte Krankenwärter. Ob Ihr einmal auch so müde sein werdet, wie dieser auf der Bahre. – So. – Und nun allerallerlangsamsten Schritt. Und vor allem gleichmäßig. Ich bleibe hinter Euch.

einzige die –


Revision: 2021/01/09 - 23:40 - © Mauro Nervi




Top Back Print Search Sitemap Tip Login