chesscafe.jpg

2024/03/29 - 14:55

Heft 7

11. II 13 Anläßlich der Korrektur des "Urteils" schreibe ich alle Beziehungen auf, die mir in der Geschichte klar geworden sind, soweit ich sie gegenwärtig habe. Es ist dies notwendig, denn die Geschichte ist wie eine regelrechte Geburt mit Schmutz und Schleim bedeckt aus mir herausgekommen und nur ich habe die Hand, die bis zum Körper dringen kann und Lust dazu hat:

Der Freund ist die Verbindung zwischen Vater und Sohn, er ist ihre größte Gemeinsamkeit. Allein bei seinem Fenster sitzend wühlt Georg in diesem Gemeinsamen mit Wollust, glaubt den Vater in sich zu haben und hält alles bis auf eine flüchtige traurige Nachdenklichkeit für friedlich. Die Entwicklung der Geschichte zeigt nun, wie aus dem Gemeinsamen, dem Freund, der Vater hervorsteigt und sich als Gegensatz Georg gegenüber aufstellt, verstärkt durch andere kleinere Gemeinsamkeiten nämlich durch die Liebe, Anhänglichkeit der Mutter durch die treue Erinnerung an sie und durch die Kundschaft, die ja der Vater doch ursprünglich für das Geschäft erworben hat. Georg hat nichts, die Braut, die in der Geschichte nur durch die Beziehung zum Freund, also zum Gemeinsamen, lebt, und die, da eben noch nicht Hochzeit war, in den Blutkreis, der sich um Vater und Sohn zieht, nicht eintreten kann, wird vom Vater leicht vertrieben. Das Gemeinsame ist alles um den Vater aufgetürmt, Georg fühlt es nur als Fremdes, Selbständiggewordenes, von ihm niemals genug Beschütztes, russischen Revolutionen Ausgesetztes, und nur weil er selbst nichts mehr hat, als den Blick auf den Vater, wirkt das Urteil, das ihm den Vater gänzlich verschließt so stark auf ihn.

Georg hat soviel Buchstaben wie Franz. In Bendemann ist "mann" nur eine für alle noch unbekannten Möglichkeiten der Geschichte vorgenommene Verstärkung von "Bende". Bende aber hat ebensoviele Buchstaben wie Kafka und der Vokal e wiederholt sich an den gleichen Stellen wie der Vokal a in Kafka

Frieda hat ebensoviel Buchstaben wie Felice und den gleichen Anfangsbuchstaben, Brandenfeld hat den gleichen Anfangsbuchstaben wie Bauer und durch das Wort "Feld" auch in der Bedeutung eine gewisse Beziehung. Vielleicht ist sogar der Gedanke an Berlin nicht ohne Einfluß gewesen und die Erinnerung an die Mark Brandenburg hat vielleicht eingewirkt.

12. II (1913) Ich habe bei der Beschreibung des Freundes in der Fremde viel an Steuer gedacht. Als ich nun zufällig etwa ein Vierteljahr nach dieser Geschichte mit ihm zusammenkam, erzählte er mir, daß er sich vor etwa einem Vierteljahr verlobt habe.

Nachdem ich die Geschichte gestern bei Weltsch vorgelesen hatte, gieng der alte Weltsch hinaus und lobte, als er nach einem Weilchen zurückkam, besonders die bildliche Darstellung in der Geschichte. Mit ausgestreckter Hand sagte er: ich sehe diesen Vater vor mir und dabei sah er ausschließlich auf den leeren Sessel, in dem er während der Vorlesung gesessen war.

Die Schwester sagte: "Es ist unsere Wohnung. " Ich staunte darüber, wie sie die Örtlichkeit mißverstand und sagte: "Da müßte ja der Vater auf dem Kloset wohnen. "

28. II(1913) Ernst Liman kam auf einer Geschäftsreise am Morgen eines regnerischen Herbsttages in Konstantinopel an und fuhr nach seiner Gewohnheit – er machte diese Reise schon zum zehnten Mal – ohne sich um irgendetwas sonst zu kümmern durch die im übrigen leeren Gassen zu dem Hotel, in dem er zu seiner Zufriedenheit stets zu wohnen pflegte. Es war fast kühl, der Sprühregen flog in den Wagen herein und ärgerlich über das schlechte Wetter, das ihn während der ganzen diesjährigen Geschäftsreise verfolgte, zog er das Wagenfenster in die Höhe und lehnte sich in eine Ecke, um die etwa 1/4 stündige Wagenfahrt, die ihm bevorstand, zu verschlafen. Da ihn aber die Fahrt gerade durch das Geschäftsviertel führte kam er zu keiner Ruhe und die Ausrufe der Straßenverkäufer, das Rollen der Lastfuhren, wie auch anderer ohne nähere Untersuchung sinnloser Lärm z. B. das Händeklatschen einer Volksmenge störte seinen sonst festen Schlaf.

Am Ziel seiner Fahrt erwartete ihn eine unangenehme Überraschung. Bei dem letzten großen Brand in Stambul, von dem Liman auf der Reise wohl gelesen hatte, war das Hotel Kingston, in dem er eben zu wohnen pflegte, fast vollständig niedergebrannt, der Kutscher aber, der dies natürlich gewußt hatte, hatte mit vollständiger Gleichgültigkeit gegen seinen Passagier dessen Auftrag dennoch ausgeführt und ihn stillschweigend zu der Brandstätte des Hotels gebracht. Nun stieg er ruhig vom Bock und hätte auch noch die Koffer Limans abgeladen, wenn ihn nicht dieser bei der Schulter gepackt und geschüttelt hätte, worauf dann der Kutscher allerdings von den Koffern abließ, aber so langsam und verschlafen als hätte nicht Liman ihn davon abgebracht, sondern sein eigener geänderter Entschluß.

Das Erdgeschoß des Hotels war noch zum Teil erhalten und durch Lattenverschläge oben und auf allen Seiten leidlich bewohnbar gemacht worden. Eine türkische und eine französische Aufschrift zeigte an, daß das Hotel in kurzer Zeit schöner und moderner als früher wieder aufgebaut werden sollte. Doch war das einzige Anzeichen dessen die Arbeit dreier Taglöhner, welche mit Schaufeln und Haken abseits Schutt aufhäuften und einen kleinen Handkarren damit beluden.

Wie sich zeigte, wohnte in diesen Trümmern ein Teil des durch den Brand arbeitslos gewordenen Hotelpersonales. Ein Herr im schwarzen Gehrock und hochroter Kravatte kam auch sofort, als Limans Wagen angehalten hatte, herausgelaufen, erzählte dem verdrießlich zuhörenden Liman die Geschichte des Brandes, wickelte dabei die Enden seines langen dünnen Bartes um seine Finger und ließ davon nur ab, um Liman zu zeigen, wo der Brand entstanden war, wie er sich verbreitet hatte und wie endlich alles zusammengebrochen war. Liman der während dieser ganzen Geschichte kaum die Blicke vom Boden abgewendet und die Klinke der Wagentür nicht losgelassen hatte, wollte gerade dem Kutscher den Namen eines andern Hotels zurufen, in das er ihn fahren sollte, als der Mann im Gehrock ihn mit erhobenen Armen bat, in kein anderes Hotel zu gehn, sondern diesem Hotel, in dem er doch immer zufrieden gewesen war, treu zu bleiben. Trotzdem dies gewiß nur eine leere Redensart war und niemand sich an Liman erinnern konnte, wie auch Liman kaum einen der männlichen und weiblichen Angestellten, die er in der Tür und in den Fenstern erblickte, wiedererkannte, so fragte er doch, als ein Mensch, dem seine Gewohnheiten lieb sind, auf welche Weise er denn augenblicklich dem abgebrannten Hotel treu bleiben solle. Nun erfuhr er – und mußte unwillkürlich über die Zumutung lächeln – daß für frühere Gäste dieses Hotels, aber nur für solche, schöne Zimmer in Privatwohnungen vorbereitet seien, Liman müsse nur befehlen und er werde sofort hingeführt werden, es sei ganz in der Nähe er werde keinen Zeitverlust haben und der Preis sei aus Gefälligkeit und da es sich ja doch um einen Ersatz handle ganz besonders niedrig, wenn auch das Essen nach Wiener Recepten womöglich noch besser, und die Bedienung noch sorgfältiger sei als in dem frühernin mancher Beziehung doch unzureichendem Hotel Kingston.

"Danke" sagte Liman und stieg dabei in den Wagen. "Ich bleibe in Konstantinopel nur 5 Tage, für diese Zeit werde ich mich doch nicht in einer Privatwohnung einrichten, nein ich fahre in ein Hotel. Nächstes Jahr aber, wenn ich wiederkomme und ihr Hotel wieder aufgebaut ist, werde ich gewiß nur bei ihnen absteigen. Erlauben Sie!" Und Liman wollte die Wagentüre zuziehn, deren Klinke nun der Vertreter des Hotels ergriffen hatte. "Herr! " sagte dieser bittend und sah zu Liman auf.

"Loslassen! " rief Liman, rüttelte an der Tür und gab dem Kutscher den Befehl: "Ins Hotel Royal." Aber sei es daß der Kutscher ihn nicht verstand, sei es daß er auf das Schließen der Türe wartete, jedenfalls saß er auf seinem Bock wie eine Statue. Der Vertreter des Hotels aber, ließ die Tür durchaus nicht los, ja er winkte sogar seinen Kollegen eifrig zu, sich doch zu rühren und ihm zur Hilfe zu kommen. Besonders von irgendeinem Mädchen erhoffte er viel und rief immer wieder "Fini! also Fini! Wo ist denn Fini?" Die Leute an den Fenstern und in der Türe hatten sich in das Innere des Hauses gewendet, sie riefen durcheinander, man sah sie an den Fenstern vorüberlaufen alle suchten Fini

Liman hätte wohl den Mann, der ihn am Wegfahren hinderte und dem offenbar nur der Hunger den Mut zu einem solchen Benehmen gab, mit einem Stoß von der Tür entfernen können, – das sah der Mann auch ein und wagte deshalb gar nicht Liman anzusehn – aber Liman hatte auf seinen Reisen schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, um nicht zu wissen, wie wichtig es ist, in der Fremde und sei man noch so sehr im Recht jedes Aufsehen zu vermeiden, er stieg deshalb ruhig nochmals aus dem Wagen, ließ vorläufig den Mann, der krampfhaft die Türe hielt, unbeachtet, gieng zum Kutscher, wiederholte ihm seinen Auftrag, gab ihm noch ausdrücklich den Befehl rasch von hier wegzufahren, trat dann zu dem Mann an der Wagentüre, faßte seine Hand scheinbar mit gewöhnlichem Griff, drückte sie aber im Geheimen so stark im Gelenk, daß der Mann mit dem Schrei "Fini" der gleichzeitig Befehl und Ausbruch seines Schmerzes war fast aufsprang und die Finger von der Klinke löste.

"Sie kommt schon! Sie kommt schon! " rief es da von allen Fenstern und ein lachendes Mädchen die Hände noch an der knapp fertig gewordenen Frisur, lief mit halb geneigtem Kopf aus dem Hause auf den Wagen zu. "Rasch! In den Wagen! Es gießt ja" rief sie, indem sie Liman an den Schultern faßte und ihr Gesicht ganz nahe an seines hielt. "Ich bin Fini" sagte sie dann leise und ließ die Hände streichelnd seine Schultern entlang fahren.

"Man meint es ja nicht gerade schlecht mit mir" sagte sich Liman und sah lächelnd das Mädchen an "schade daß ich kein Junge mehr bin und mich auf unsichere Abenteuer nicht einlasse. " "Es muß ein Irrtum sein, Fräulein" sagte er und wandte sich seinem Wagen zu "ich habe sie weder rufen lassen, noch beabsichtige ich mit ihnen wegzufahren." Vom Wagen aus fügte er noch hinzu: Bemühen Sie sich nicht weiter.

Aber Fini hatte schon einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt und sagte die Arme über ihrer Brust gekreuzt: "Warum wollen Sie sich denn von mir nicht eine Wohnung empfehlen lassen?" Müde der Belästigungen, die er hier schon ausgestanden hatte, sagte Liman sich zu ihr herausbeugend: "Halten Sie mich bitte nicht länger mit unnützen Fragen auf! Ich fahre ins Hotel und damit genug. Geben Sie Ihren Fuß vom Trittbrett herunter, sonst kommen Sie in Gefahr. Vorwärts Kutscher! " "Halt" rief aber das Mädchen und wollte sich nun ernstlich in den Wagen schwingen. Liman stand kopfschüttelnd auf und verstellte mit seiner gedrungenen Gestalt die ganze Tür. Das Mädchen suchte ihn fortzustoßen und gebrauchte hiezu auch den Kopf und die Knie, der Wagen fieng auf seinen elenden Federn zu schaukeln an, Liman hatte keinen rechten Halt: Warum wollen Sie mich denn nicht mitnehmen? Warum wollen Sie mich denn nicht mitnehmen? wiederholte das Mädchen immerfort. Gewiß wäre es Liman gelungen, das allerdings kräftige Mädchen wegzudrängen, ohne ihr besondere Gewalt anzutun, wenn nicht der Mann im Gehrock, der sich bisher, als sei er von Fini abgelöst ruhig verhalten hatte, nun als er Fini wanken sah, mit einem Sprung hinzugeeilt wäre, Fini hinten gehalten und gegenüber Limans immerhin schonender Abwehr mit dem Einsetzen aller Kraft das Mädchen in den Wagen zu heben versucht hätte. Im Gefühl dieses Rückhaltes drang sie auch tatsächlich in den Wagen, zog die Tür zu, die überdies von außen auch zugestoßen wurde, sagte wie für sich "Nun also" und ordnete zuerst flüchtig ihre Bluse und dann gründlicher die Frisur. "Das ist unerhört" sagte Liman, der auf seinen Sitz zurückgefallen war, zu dem ihm gegenübersitzenden Mädchen.

16. II 14

Nutzloser Tag. Die einzige Freude, die ich hatte, war die durch die gestrige Nacht begründete Hoffnung auf bessern Schlaf.

Ich gieng wie gewöhnlich abends nach Geschäftsschluß nachhause, da wurde mir, als hätte man mir aufgepaßt, aus allen drei Fenstern der Genzmerischen Wohnung lebhaft zugewinkt, ich möchte hinaufkommen.

22 II 14

Vielleicht bin ich doch noch trotz des unausgeschlafenen (gestern Malerin Dittrich, weißhaarig, schwarzäugig) links oben vor Unruhe fast schmerzenden Kopfes einer ruhigen Anlage eines größern Ganzen fähig, in dem ich alles vergessen könnte und nur meines Guten mir bewußt würde.

Direktor an seinem Tisch. Diener bringt eine Karte.

D. Schon wieder Nitte, das ist eine Klette, der Mensch ist eine Klette.

23. II 14. Ich fahre. Brief von Musil. Freut mich und macht mich traurig, denn ich habe nichts.

8 III 14 Wenn F. den gleichen Widerwillen vor mir hat, wie ich, dann ist eine Heirat unmöglich. Ein Prinz kann Dornröschen und noch ärgeres heiraten, aber Dornröschen kann kein Prinz sein.

Ein junger Mann reitet auf einem schönen Pferd aus dem Tor einer Villa.

Die Großmutter hatte als sie starb zufällig nur die Krankenschwester bei sich. Diese erzählte, daß sich die Großmutter knapp vor dem Tode ein wenig von dem Polster erhoben habe, so daß es den Anschein hatte, als suche sie jemanden, und daß sie sich dann ruhig zurückgelegt habe und gestorben sei.

Ich bin unzweifelhaft in einer mich ganz umgebenden Hemmung, mit der ich aber noch ganz gewiß nicht verwachsen bin, deren zeitweise Lockerung ich merke und die gesprengt werden könnte. Es gibt zwei Mittel, heiraten oder Berlin, das zweite ist sicherer, das erste unmittelbar verlockender.

Ich untertauchte und fand mich bald zurecht. Eine kleine Schar schwebte in ansteigender Kette vorüber und verlor sich im Grün. Glocken vom Treiben des Wassers hin- und hergetragen – falsch

9. III 14

Rense gieng paar Schritte durch den halbdunklen Gang, öffnete die kleine Tapetentür des Eßzimmers und sagte zu der überlauten Gesellschaft, fast ohne hinzusehn: Bitte seid ein wenig ruhig. Ich habe einen Gast. Ich bitte um etwas Rücksicht. Als er wieder in sein Zimmer zurückgieng und den unveränderten Lärm hörte, stockte er einen Augenblick, wollte nochmals zurückgehn, besann sich aber anders und kehrte in sein Zimmer zurück.

Dort stand ein etwa 18 jähriger Junge beim Fenster und sah auf den Hof hinab. Es ist schon ruhiger sagte er als Rense eintrat und hob seine lange Nase und seine tiefliegenden Augen zu ihm auf. Es ist gar nicht ruhiger sagte Rense und nahm einen Schluck aus der Bierflasche die auf dem Tische stand, Ruhe kann man hier überhaupt nicht haben. Daran wirst Du Dich gewöhnen müssen, Junge

Ich bin zu müde, ich muß mich durch Schlaf zu erholen suchen, sonst bin ich in jeder Hinsicht verloren. Was für Mühen sich zu erhalten! Kein Denkmal braucht solchen Aufwand von Kräften, um aufgerichtet zu werden.

Die Argumentation im allgemeinen: Ich bin an F. verloren.

Rense, ein Student, saß in seinem kleinen Hofzimmer und studierte. Die Magd kam und meldete, ein junger Mann wolle mit Rense sprechen. Wie heißt er denn? fragte Rense. Die Magd wußte es nicht.

Ich werde hier F. nicht vergessen, daher nicht heiraten

Ist das ganz bestimmt?

Ja, das kann ich beurteilen, ich bin fast 31 Jahre alt, kenne F. fast zwei Jahre, muß also schon einen Überblick haben. Außerdem aber ist hier meine Lebensweise eine derartige, daß ich nicht vergessen kann, selbst wenn F. keine solche Bedeutung für mich hätte. Die Einförmigkeit, Gleichmäßigkeit, Bequemlichkeit und Unselbstständigkeit meiner Lebensweise halten mich dort, wo ich einmal bin, unweigerlich fest. Außerdem habe ich einen mehr als gewöhnlichen Hang zu einem bequemen und unselbständigen Leben, alles Schädigende wird also noch durch mich verstärkt. Endlich altere ich doch auch, Umwandlungen werden immer schwerer. In alledem aber sehe ich ein großes Unglück für mich, das dauernd und aussichtslos wäre; ich würde mich auf der Gehaltsleiter und in den Jahren fortschleppen und immer trauriger und einsamer werden, solange ich es eben überhaupt aushielte

Du hast doch aber ein solches Leben Dir gewünscht?

Das Beamtenleben könnte für mich gut sein, wenn ich verheiratet wäre. Es gäbe mir in jeder Hinsicht gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der Frau, gegenüber dem Schreiben einen guten Rückhalt, ohne allzuviel Opfer zu verlangen und ohne auf der andern Seite in Bequemlichkeit und Unselbständigkeit auszuarten, denn als verheirateter Mann hätte ich das nicht zu fürchten. Als Junggeselle aber kann ich ein solches Leben nicht zu Ende führen.

Du hättest aber doch heiraten können?

Ich konnte damals nicht heiraten, alles in mir hat dagegen revoltiert, so sehr ich F. immer liebte. Es war hauptsächlich die Rücksicht auf meine schriftstellerische Arbeit, die mich abhielt, denn ich glaubte diese Arbeit durch die Ehe gefährdet. Ich mag Recht gehabt haben; durch das Junggesellentum aber innerhalb meines jetzigen Lebens ist sie vernichtet. Ich habe ein Jahr lang nichts geschrieben, ich kann auch weiterhin nichts schreiben, ich habe und behalte im Kopf nichts als den einen Gedanken und der zerfrißt mich. Das alles habe ich damals nicht überprüfen können. Übrigens gehe ich bei meiner durch diese Lebensweise zumindest genährten Unselbständigkeit an alles zögernd heran und bringe nichts mit dem ersten Schlag fertig. So war es auch hier.

Warum gibst Du alle Hoffnung auf, F. doch zu bekommen?

Ich habe jede Selbstdemütigung schon versucht. Im Tiergarten sagte ich einmal: "Sag "ja", auch wenn Du Dein Gefühl für mich als nicht genügend für eine Ehe ansiehst, meine Liebe zu Dir ist groß genug, um auch das Fehlende zu ersetzen und überhaupt stark genug, um alles auf sich zu nehmen. " F. schien durch meine Eigenheiten beunruhigt, vor denen ich ihr im Laufe eines großen Briefwechsels Angst eingejagt hatte. Ich sagte: "ich habe Dich lieb genug, um alles abzulegen, was Dich stören könnte. Ich werde ein anderer Mensch werden. " Ich hatte, wie ich jetzt, da alles klar werden muß, eingestehen kann, selbst zur Zeit unseres herzlichsten Verhältnisses oft Ahnungen und durch Kleinigkeiten begründete Befürchtungen, daß F. mich nicht sehr lieb hat, nicht mit aller Liebeskraft deren sie fähig ist. Das ist nun, nicht ohne meine Mithilfe allerdings, auch F. zu Bewußtsein gekommen. Ich fürchte fast, F. hat sogar nach meinen letzten zwei Besuchen einen gewissen Ekel vor mir, trotzdem wir äußerlich freundlich zu einander sind, einander Du sagen, Arm in Arm gehn. Als letzte Erinnerung an sie habe ich die ganz feindselige Grimasse, die sie machte, als ich mich im Flur ihres Hauses nicht mit dem Kuß auf ihren Handschuh begnügte, sondern ihn aufriß und ihre Hand küßte. Nun hat sie im übrigen, trotzdem sie die pünktliche Einhaltung des fernern Briefwechsels versprochen hatte, auf zwei Briefe mir nicht geantwortet, nur durch Telegramme Briefe versprochen, aber das Versprechen nicht gehalten, ja sie hat sogar nicht einmal meiner Mutter geantwortet. Das Aussichtlose dessen ist also wohl unzweifelhaft.

Das sollte man eigentlich niemals sagen dürfen. Schien von F. aus gesehn Dein früheres Verhalten nicht auch aussichtslos zu sein.

Es war etwas anderes. Ich gestand immer, selbst beim scheinbar letzten Abschied im Sommer, meine Liebe zu ihr offen ein; ich schwieg niemals mit dieser Grausamkeit; ich hatte Gründe für mein Verhalten, die sich, wenn nicht billigen, so doch besprechen ließen. F. hat bloß den Grund der gänzlich unzureichenden Liebe. Trotzdem ist es richtig, daß ich warten könnte. Mit einer doppelten Hoffnungslosigkeit warten kann ich aber nicht: einmal F. mir immer weiter entschwinden sehn und außerdem selbst in immer größere Unfähigkeit geraten, mich irgendwie zu retten. Es wäre das größte Wagnis, das ich mit mir versuchen könnte, trotzdem oder weil es allen übermächtigen schlechten Kräften in mir am meisten entsprechen würde. "Man kann niemals wissen, was geschehn wird" ist kein Argument gegenüber der Unerträglichkeit eines gegenwärtigen Zustandes.

Was willst Du also tun?

Von Prag weggehn. Gegenüber diesem stärksten menschlichen Schaden, der mich je getroffen hat, mit dem stärksten Reaktionsmittel, über das ich verfüge, vorgehn.

Den Posten verlassen?

Der Posten ist ja nach dem Obigen ein Teil der Unerträglichkeit. Ich verliere nur eine Unerträglichkeit. Die Sicherheit, das auf Lebensdauer Berechnete, der reichliche Gehalt, die nicht vollständige Anspannung der Kräfte – das sind doch lauter Dinge, mit denen ich als Junggeselle nichts anfangen kann, die sich zu Qualen verwandeln.

Was willst Du also tun?

Ich könnte alle derartigen Fragen mit einemmal beantworten, indem ich sage: ich habe nichts zu riskieren, jeder Tag und jeder geringste Erfolg ist ein Geschenk, alles was ich tue wird gut sein. Aber ich kann auch genauer antworten. Als österreichischer Jurist, der ich ja im Ernst gar nicht bin, habe ich keine für mich brauchbaren Aussichten; das beste, was ich für mich in dieser Richtung erreichen könnte, besitze ich ja in meiner Stelle und kann es doch nicht brauchen. Übrigens kämen für diesen an sich ganz unmöglichen Fall, daß ich aus meiner juristischen Vorbildung etwas für mich herausschlagen wollte, nur 2 Städte in Betracht: Prag aus dem ich weg muß, und Wien, das ich hasse und in dem ich unglücklich werden müßte, denn ich würde schon mit der tiefsten Überzeugung von der Notwendigkeit dessen hinfahren. Ich muß also außerhalb Österreichs und zwar, da ich kein Sprachentalent habe und körperliche sowie kaufmännische Arbeit nur schlecht leisten könnte, wenigstens zunächst nach Deutschland und dort nach Berlin, wo die meisten Möglichkeiten sind, sich zu erhalten. Dort kann ich auch im Journalismus meine schriftstellerischen Fähigkeiten am besten und unmittelbarsten ausnützen und einen mir halbwegs entsprechenden Gelderwerb finden. Ob ich etwa gar noch darüber hinaus fähig zu inspirierter Arbeit sein werde, darüber kann ich mich jetzt auch nicht mit der geringsten Sicherheit aussprechen. Das aber glaube ich bestimmt zu wissen, daß ich aus dieser selbstständigen und freien Lage, in der ich in Berlin sein werde, (sei sie im übrigen auch noch so elend) das einzige Glücksgefühl ziehen werde, dessen ich jetzt noch fähig bin.

Du bist aber verwöhnt

Nein, ich brauche ein Zimmer und vegetarische Pension, sonst fast nichts.

Fährst Du nicht F.’s wegen hin

Nein, ich wähle Berlin nur aus den obigen Gründen, allerdings liebe ich es auch und vielleicht liebe ich es wegen F. und wegen des Vorstellungskreises um F.; das kann ich nicht kontrollieren. Es ist auch wahrscheinlich, daß ich in Berlin mit F. zusammenkommen werde. Wird mir dieses Zusammensein dazu verhelfen, F. aus meinem Blut hinauszubekommen: desto besser, es ist dann ein weiterer Vorteil von Berlin.

Bist Du gesund?

Nein, Herz, Schlaf, Verdauung

Ein kleines Mietzimmer. Morgendämmerung. Unordnung. Der Student liegt im Bett, schläft der Wand zugekehrt.

Es klopft. Es bleibt still. Es klopft stärker. Der Student setzt sich erschreckt aufrecht, schaut zur Tür herein

Dienstmädchen (schwaches Mädchen): Guten Morgen

St. Was wollen Sie? Es ist ja Nacht.

D. Entschuldigen Sie. Ein Herr fragt nach Ihnen

S. Nach mir? (stockt) Unsinn! Wo ist er?

D. Er wartet in der Küche

S. Wie sieht er aus

D. (lächelt) Nun, es ist noch ein Junge, sehr schön ist er nicht, ich glaube es ist ein Jud

S. Und das will in der Nacht zu mir? Übrigens, hören Sie brauche ich nicht Ihr Urteil über meine Gäste. Und der soll

hereinkommen. Aber rasch!

Der Student stopft die kleine Pfeife, die auf dem Sessel neben seinem Bett gelegen ist und raucht.

Kleipe (steht an der Tür und schaut zum Student, der, die Augen zur Zimmerdecke gerichtet, ruhig vor sich hindampft.)

(klein, gerade, große, lange, etwas schief gedrehte, spitze Nase, dunkle Gesichtsfarbe, tiefliegende Augen, lange Arme)

St. Wie lange noch? Kommen Sie her zum Bett und sagen Sie was Sie wollen. Wer sind Sie? Was wollen Sie? Rasch! Rasch!

Kl. (geht sehr langsam zum Bett und sucht auf dem Weg durch Handbewegungen etwas zu erklären. Beim Reden hilft er sich durch Strecken des Halses und durch Hoch- und Tiefziehn der Augenbrauen) Ich bin nämlich auch aus Wulfenshausen

S. So; das ist schön, das ist sehr schön. Warum sind Sie denn nicht dort geblieben?

Kl. Überlegen Sie! Es ist unser beider Vaterstadt, schön, aber doch ein elendes Nest

Es war ein Sonntag nachmittag, sie lagen verschlungen im Bett. Es war im Winter, das Zimmer war ungeheizt, sie lagen unter einem schweren Federbett.

15. III 14 Hinter Dostojewskis Sarg wollten die Studenten seine Ketten tragen. Er starb im Arbeiterviertel im 4ten Stock eines Miethauses.

Gegen 5 Uhr früh, einmal im Winter, wurde dem Studenten durch das halbbekleidete Dienstmädchen ein Gast gemeldet. "Was denn? Wie denn?" fragte der Student noch schlaftrunken, da trat schon mit einer von dem Dienstmädchen geliehenen brennenden Kerze ein junger Mann ein,

Nichts als ein Erwarten, ewige Hilflosigkeit

17. III 14

Im Zimmer bei den Eltern gesessen, 2 Stunden lang in Zeitschriften geblättert, ab und zu nur vor mich hingesehn, im Ganzen nur gewartet bis es 10 Uhr wird und ich mich ins Bett legen kann.

27. III 14 Im ganzen nicht viel verschieden verbracht.

Haß beeilte sich auf das Schiff zu kommen, lief über die Landungsbrücke, kletterte auf ein Verdeck hinauf, setzte sich in einen Winkel, drückte die Hände gegen das Gesicht und kümmerte sich von jetzt an um niemanden mehr. Die Schiffsglocke läutete, Leute liefen vorüber, weit, als wäre es am andern Ende des Schiffes sang einer aus voller Brust

Man wollte schon den Landungssteg zurückziehn, da kam ein kleiner schwarzer Wagen angefahren, der Kutscher schrie von weitem, das sich bäumende Pferd mußte mit aller Kraft gehalten werden, ein junger Mann sprang aus dem Wagen, küßte einen alten weißbärtigen Herrn, der sich unter dem Wagendach vorbeugte und lief mit einem kleinen Handkoffer aufs Schiff, das sofort vom Lande abgestoßen wurde.

Es war etwa drei Uhr nachts, aber im Sommer, und schon halb hell. Da erhoben sich im Stall des Herrn von Grusenhof seine fünf Pferde Famos, Grasaffe, Tournemento, Rosina und Brabant. Wegen der schwülen Nacht war die Stalltür nur zugelehnt, die zwei Pferdewärter schliefen im Stroh auf dem Rücken über ihrem offenem Mund schwebten die Fliegen auf und ab, es gab kein Hindernis. Grasaffe stellte sich so auf daß er die beiden Männer unter sich hatte und war, während er ihre Gesichter beobachtete, bereit, beim geringsten Zeichen des Erwachens mit den Hufen zuzustoßen. Die vier andern verließen inzwischen mit zwei leichten Sprüngen einer hinter dem andern den Stall, Grasaffe folgte ihnen.

30 III 14 Anna sah durch die Glastür daß im Zimmer des Mieters dunkel war, sie kam herein und drehte das elektrische Licht auf, um für die Nacht aufzubetten. Aber der Student saß halb liegend auf dem Kanapee und lächelte sie an. Sie entschuldigte sich und wollte hinaus. Aber der Student bat sie, sie möge bleiben und keine Rücksicht auf ihn nehmen. Sie blieb auch und tat ihre Arbeit unter einigen Seitenblicken zum Studenten hin.

5. IV 14

Wenn es möglich wäre, nach Berlin zu gehn, selbstständig zu werden, von Tag zu Tag zu leben, auch zu hungern, aber seine ganze Kraft ausströmen lassen statt hier zu sparen oder besser sich abzuwenden in das Nichts! Wenn F. es wollte, mir beistehn würde!

7 IV 14

8 IV 14 Gestern unfähig auch nur ein Wort zu schreiben. Heute nicht besser. Wer erlöst mich? Und in mir das Gedränge, in der Tiefe, kaum zu sehn. Ich bin wie ein lebendiges Gitterwerk, ein Gitter, das feststeht und fallen will.

Heute im Kaffeehaus mit Werfel. Wie er von der Ferne beim Kaffeehaustisch aussieht. Geduckt, selbst im Holzsessel halb liegend, das im Profil schöne Gesicht an sich gedrückt, vor Fülle (nicht eigentlicher Dicke) fast schnaufend, ganz und gar unabhängig von der Umgebung, unartig und fehlerlos. Die hängende Brille erleichtert durch ihre Gegensätzlichkeit das Verfolgen der zarten Umrißlinien des Gesichtes

6. V 14 Die Eltern scheinen eine schöne Wohnung für F. und mich gefunden zu haben, ich bin nutzlos einen schönen Nachmittag lang herumgestrichen. Ob sie mich auch noch ins Grab legen werden nach einem durch ihre Sorgfalt glücklichen Leben.

Ein Adeliger, namens Herr von Griesenau, hatte einen Kutscher Josef, den kein anderer Dienstgeber hätte ertragen können. Er wohnte in einem ebenerdigen Zimmer neben der Portierloge, da er infolge seiner Dicke und Kurzatmigkeit unfähig war, Treppen zu steigen. Seine einzige Beschäftigung war das Kutschieren, aber auch dazu wurde er nur bei besondern Gelegenheiten etwa einem Gast zu Ehren verwendet, sonst aber lag er ganze Tage ganze Wochen, auf einem Ruhebett in der Nähe des Fensters und sah mit seinen kleinen, tief ins Fett eingesenkten, auffallend schnell zwinkernden Augen aus dem Fenster auf die Bäume, welche

Der Kutscher Josef lag auf seinem Ruhebett, richtete sich nur auf um von einem Tischchen einen Schnitten Butterbrot mit Häring zu nehmen, lehnte sich dann wieder zurück und starrte kauend umher. Durch seine großen runden Nasenlöcher zog er die Luft mit Mühe ein, manchmal mußte er, um genug Luft zu gewinnen, im Kauen einhalten und den Mund öffnen, sein großer Bauch zitterte ununterbrochen unter den vielen Falten des dünnen dunkelblauen Kleides.

Das Fenster war geöffnet, man sah eine Akazie und einen leeren Platz. Es war ein niedriges Parterrefenster, Josef sah von seinem Ruhebett aus alles und jeder konnte ihn von außen sehn. Das war peinlich, aber er mußte so niedrig wohnen, da er wenigstens seit einem halben Jahr seitdem sein Fett stark zugenommen hatte, Treppen gar nicht mehr steigen konnte. Als er dieses Zimmer neben der Portierloge bekommen hatte, hatte er seinem Dienstgeber, dem Herrn von Griesenau, unter Tränen die Hände geküßt und gedrückt, jetzt aber kannte er die Nachteile dieses Zimmers – das ewige Beobachtetwerden, die Nachbarschaft des unangenehmen Portiers, die Unruhe der Einfahrt und des Platzes, die weite Entfernung von der übrigen Dienerschaft und die dadurch eintretende Entfremdung und Vernachlässigung – alle diese Nachteile kannte er jetzt von Grund aus und beabsichtigte auch tatsächlich beim Herrn wegen der Übersiedlung in sein früheres Zimmer bittstellig zu werden. Wozu standen denn insbesondere seitdem der Herr sich verlobt hatte, soviele neu aufgenommene Burschen nutzlos herum, mochten sie doch ihn, den verdienten und einzigartigen Mann, einfach die Treppen hinauf und hinuntertragen.

Es wurde eine Verlobung gefeiert. Das Festessen war beendet, die Gesellschaft stand vom Tische auf, alle Fenster wurden geöffnet, es war ein schöner warmer Abend im Juni. Die Braut stand in einem Kreise von Freundinnen und guten Bekannten, die übrigen waren in kleinen Gruppen beisammen, hie und da wurde viel gelacht. Der Bräutigam lehnte allein am Eingang zum Balkon und sah hinaus.

Nach einiger Zeit bemerkte ihn die Mutter der Braut, gieng zu ihm hin und sagte: "Du stehst hier so allein? Gehst nicht zu Olga? Habt Ihr Streit gehabt?" "Nein" antwortete der Bräutigam "wir haben keinen Streit gehabt. " "Nun also" sagte die Frau "dann geh zu Deiner Braut! Dein Benehmen fällt ja schon auf"

Das Grauenhafte des bloß Schematischen

Die Zimmervermieterin eine schwache schwarz gekleidete Witwe in gerade abfallendem Rock stand im mittleren Zimmer ihrer leeren Wohnung. Noch war es ganz still, die Glocke rührte sich nicht. Auf der Gasse war es auch still, die Frau hatte mit Absicht eine so stille Gasse gewählt, denn sie wollte gute Zimmerherren und solche, die Ruhe verlangen sind die besten.

27. V 14 Mutter und Schwester in Berlin. Ich werde mit dem Vater abend allein sein. Ich glaube er fürchtet sich heraufzukommen. Soll ich mit ihm Karten spielen? (Ich finde die K häßlich, sie widern mich fast an und ich schreibe sie doch, sie müssen für mich sehr charakteristisch sein) Wie sich der Vater verhielt, als ich F. berührte.

Zum erstenmal erschien das weiße Pferd an einem Herbstnachmittag in einer großen aber nicht sehr belebten Straße der Stadt A. Es trat aus dem Flur eines Hauses, in dessen Hof ein Speditionsgeschäft ausgedehnte Lagerräume hatte, so daß öfters Gespanne, hie und da auch ein einzelnes Pferd aus dem Hausflur geführt werden mußten und infolgedessen das weiße Pferd nicht besonders auffiel. Es gehörte aber nicht zum Pferdestand des Speditionsgeschäftes. Ein Arbeiter, der vor dem Tor die Stricke an einem Warenballen fester zog, bemerkte das Pferd sah von seiner Arbeit auf und dann in den Hof, ob nicht der Kutscher bald nachkäme. Es kam niemand, wohl aber bäumte sich das Pferd, kaum hatte es das Trottoir betreten, kräftig auf, schlug paar Funken aus dem Pflaster, war einen Augenblick sehr nahe am Hinfallen, nahm sich aber gleich zusammen und trabte dann nicht schnell nicht langsam die um diese Dämmerstunde fast völlig leere Straße hinauf. Der Arbeiter verfluchte die seiner Meinung nach nachlässigen Kutscher, schrie einige Namen in den Hof, es kamen auch Leute heraus, blieben aber, da sie das Pferd gleich als ein fremdes erkannten, bloß ein wenig erstaunt neben einander im Tore stehn. Erst nach einem Weilchen besannen sich paar, liefen eine Strecke Wegs dem Pferde nach, da sie es aber nicht einmal mehr zu Gesicht bekamen, kehrten sie bald zurück.

Das Pferd hatte inzwischen schon die äußersten Vorstadtstraßen erreicht, ohne aufgehalten worden zu sein. Es fügte sich dem Straßenleben besser ein, als sonst alleinlaufende Pferde. Sein langsamer Schritt konnte niemanden erschrecken, es verließ niemals die Fahrbahn niemals auch die vorgeschriebene Straßenseite, war es nötig wegen eines aus einer Querstraße kommenden Fuhrwerkes einzuhalten, so hielt es ein, hätte es der vorsichtigste Kutscher am Halfter geführt, es hätte sich nicht fehlerfreier verhalten können. Trotzdem war es natürlich ein auffallender Anblick, hie und da blieb jemand stehn und sah ihm lächelnd nach, von einem vorbeifahrenden Bierwagen herab hieb ein Kutscher zum Spaß mit der Peitsche auf das Pferd ein, es erschreckte zwar, hufte mit den Vorderbeinen auf, beschleunigte aber seinen Schritt nicht.

Gerade diesen Vorfall aber hatte ein Polizeimann beobachtet, gieng auf das Pferd zu, das noch im letzten Augenblick eine andere Richtung zu nehmen gesucht hatte, faßte es am Zügel (es war trotz seines nicht sehr starken Baues als Lastpferd aufgezäumt) und sagte übrigens sehr freundlich: Halt! Wohin laufst du denn? Eine Zeitlang hielt er es hier mitten auf der Fahrbahn fest, denn er dachte der Besitzer werde seinem entlaufenen Tier bald nachkommen.

Es hat Sinn, ist aber matt, das Blut fließt dünn, zu weit vom Herzen. Ich habe noch hübsche Szenen im Kopfe und höre doch auf. Gestern erschien mir das weiße Pferd zum erstenmal vor dem Einschlafen, ich habe den Eindruck, als wäre es zuerst aus meinem der Wand zugedrehten Kopf getreten, wäre über mich hinweg und vom Bett hinunter gesprungen und hätte sich dann verloren. Das letztere wird durch den obigen Anfang leider nicht widerlegt.

Wenn ich mich nicht sehr täusche, komme ich doch näher. Es ist als wäre irgendwo in einer Waldlichtung der geistige Kampf. Ich dringe in den Wald ein, finde nichts und eile aus Schwäche bald wieder hinaus; oft wenn ich den Wald verlasse, höre ich oder glaube ich das Klirren der Waffen jenes Kampfes zu hören. Vielleicht suchen mich die Blicke der Kämpfer durch das Walddunkel, aber ich weiß nur so wenig und Täuschendes von ihnen.

Starker Regenguß. Stelle dich dem Regen entgegen, laß die eisernen Strahlen dich durchdringen, gleite in dem Wasser das Dich fortschwemmen will, aber bleibe doch, erwarte so aufrecht die plötzlich und endlos einströmende Sonne.

Die Vermieterin warf die Röcke und eilte durch die Zimmer. Eine große kalte Dame. Ihr vortretender Unterkiefer schreckte die Zimmerherrn ab. Sie liefen die Treppe hinab und wenn sie ihnen aus dem Fenster nachsah, verdeckten sie im Laufe ihre Gesichter. Einmal kam ein kleiner Zimmerherr, ein fester untersetzter junger Mann, der die Hände ständig in den Taschen seines Rockes hielt. Vielleicht war es seine Gewohnheit, es war aber auch möglich, daß er das Zittern der Hände verbergen wollte.

Junger Mann sagte die Frau und ihr Unterkiefer rückte vor Sie wollen hier wohnen?

Ja sagte der junge Mann und zuckte mit dem Kopf von unten hinauf.

Sie werden es hier guthaben sagte die Frau, führte ihn zu einem Sessel und setzte ihn hinauf. Hiebei bemerkte sie, daß er einen Fleck in der Hose hatte, weshalb sie neben ihm niederkniete und diesen Fleck mit den Nägeln zu reiben begann.

"Sie sind ein Schmutzian<< sagte sie

Es ist ein alter Fleck

Dann sind sie eben ein alter Schmutzian.

"Weg mit der Hand" sagte er plötzlich und schob sie wirklich weg. "Was sie doch für schreckliche Hände haben" sagte er dann faßte ihre Hand und drehte sie. "Oben ganz schwarz, unten weißlich, aber noch ausreichend schwarz und – er fuhr in ihren weiten Ärmel – auf dem Arm sind sie sogar ein wenig behaart. "

"Sie kitzeln mich" sagte sie

"Weil sie mir gefallen. Ich verstehe nicht, wie man sagen kann, daß sie häßlich sind. Man sagt es nämlich. Aber nun sehe ich, daß das ja gar nicht stimmt. "

Und er stand auf und gieng im Zimmer auf und ab. Sie kniete noch immer und besah ihre Hand.

Das machte ihn aus irgendeinem Grunde wild, er sprang hinzu und nahm wieder ihre Hand.

"So ein Frauenzimmer" sagte er dann und schlug ihre längliche magere Wange. "Es würde geradezu zu meinem Behagen beitragen hier zu wohnen. Aber billig müßte es sein. Und keinen andern Mieter dürften sie aufnehmen. Und treu müßten sie mir sein. Ich bin ja viel jünger als sie, da kann ich doch Treue verlangen. Und gut kochen müßten sie. Ich bin an gutes Essen gewöhnt und werde es mir niemals abgewöhnen. "

Tanzt ihr Schweine weiter; was habe ich damit zu tun?

Aber wirklicher ist es, als alles was ich im letzten Jahr geschrieben habe. Vielleicht kommt es doch darauf an

das Gelenk zu lockern. Ich werde noch einmal schreiben können.

Jeden Abend seit einer Woche kommt mein Zimmernachbar, um mit mir zu ringen. Ich kannte ihn nicht, habe auch bis jetzt noch nichts mit ihm gesprochen. Wir tauschen nur einige Ausrufe aus, die man nicht "sprechen" nennen kann. Mit "also" wird der Kampf eingeleitet, "Schuft" stöhnt manchmal einer unter dem Griff des andern, "jetzt" begleitet einen überraschenden Stoß, "Aufhören!" bedeutet Schluß aber man kämpft noch immer ein Weilchen weiter. Meistens springt er sogar noch von der Tür einmal ins Zimmer zurück und gibt mir einen Stoß, daß ich hinfalle. Aus seinem Zimmer ruft er mir dann durch die Wand Gute Nacht zu. Ich müßte, falls ich diese Bekanntschaft endgiltig aufgeben wollte, mein Zimmer kündigen, denn das Versperren der Türe hilft nichts. Einmal hatte ich die Türe versperrt, weil ich lesen wollte, aber mein Nachbar schlug die Tür mit der Hacke entzwei und da er, was er einmal gefaßt hat, nur schwer aufgeben kann, war ich sogar von der Hacke gefährdet. Ich verstehe mich anzupassen. Da er immer zu bestimmter Stunde kommt, nehme ich eine leichte Arbeit vor, die ich wenn nötig sofort unterbrechen kann. Das muß ich so einrichten, denn kaum erscheint er in der Tür muß ich alles liegen lassen denn er will ja nur kämpfen sonst nichts. Fühle ich mich kräftig, so reize ich ihn ein wenig, indem ich ihm zu erst auszuweichen suche. Ich krieche unter dem Tisch durch ich werfe ihm Stühle vor die Füße, ich zwinkere ihm aus der Ferne zu, trotzdem es natürlich geschmacklos ist mit einem fremden Menschen solche ganz einseitig bleibenden Späße zu machen. Aber meistens schließen sich unsere Körper gleich zum Kampf zusammen. Offenbar ist er ein Student, lernt den ganzen Tag und will am Abend vor dem Schlafengehn noch rasch Bewegung machen. Nun, an mir hat er einen guten Gegner, ich bin vielleicht, wenn man vom Glückswechsel absieht, der stärkere und geschicktere von uns beiden. Er aber ist der ausdauerndere.

28 / V 14 Übermorgen fahre ich nach Berlin. Trotz Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Sorgen vielleicht in einem bessern Zustand als jemals.

Einmal brachte er ein Mädchen mit. Während ich grüße und auf ihn nicht achte, springt er auf mich und reißt mich in die Höhe. "Ich protestiere" rief ich und hob die Hand. "Schweig" flüsterte er mir ins Ohr. Ich merkte, daß er um jeden Preis selbst mit schändlichen Griffen vor dem Mädchen siegen wollte, um sich in Glanz zu setzen. "Er hat mir gesagt: >Schweig"< rief ich deshalb, den Kopf zum Mädchen hingedreht. "Oh gemeiner Mensch" stöhnte der Mann leise, er verbrauchte an mir alle seine Kraft. Immerhin schleppte er mich noch zum Kanapee, legte mich hin, kniete auf meinem Rücken nieder, wartete die Wiederkehr der Sprache ab und sagte: "Da liegt er also." "Er soll es noch einmal versuchen" wollte ich sagen, aber schon nach dem ersten Wort drückte er mir das Gesicht so stark in die Polsterung, daß ich schweigen mußte. "Nun ja" sagte das Mädchen, das sich an meinen Tisch gesetzt hatte und einen dort liegenden angefangenen Brief überlas. "Werden wir nicht schon gehn? Er hat gerade einen Brief angefangen. " "Er wird ihn auch nicht fortsetzen, wenn wir fortgehn. Komm mal her. Greif z. B. hier an den Schenkel, er zittert ja wie ein krankes Tier. " "Ich sage laß ihn und komm. " Sehr widerwillig kroch der Mann von mir hinunter. Ich hätte ihn jetzt durchprügeln können, denn ich war jetzt ausgeruht, er aber hatte alle Muskeln angespannt, um mich niederzuhalten. Er hatte gezittert und hatte geglaubt ich zittere. Er zitterte sogar noch immer. Ich ließ ihn aber in Ruhe, weil das Mädchen zugegen war. "Sie werden sich wahrscheinlich Ihr Urteil über diesen Kampf schon selbst gebildet haben" sagte ich zu dem Mädchen, gieng mit einer Verbeugung an ihm vorüber und setzte mich zum Tisch um den Brief fortzusetzen. "Wer zittert also?" fragte ich, ehe ich zu schreiben anfieng und hielt den Federhalter zum Beweis, daß ich es nicht war, steif in die Luft. Schon im Schreiben rief ich ihnen als sie in der Tür waren, ein kurzes Adieu zu, schlug aber ein wenig mit dem Fuß aus, um wenigstens für mich die Verabschiedung anzudeuten, die wahrscheinlich beide verdient hätten.

29 V 14 Morgen nach Berlin. Ist es ein nervöser oder ein wirklicher verläßlicher Zusammenhalt den ich fühle. Wie wäre das? Ist es richtig, daß man einmal die Erkenntnis des Schreibens erhält, nichts verfehlt werden kann, nichts versinkt, aber auch nur selten etwas übermäßig hoch emporschlägt. Wäre es das Herandämmern der Ehe mit F. P Sonderbarer mir allerdings in der Erinnerung nicht ganz fremder Zustand.

Lange mit Pick vor dem Tor gestanden. Nur daran gedacht, wie ich bald loskommen könnte, denn mein Erdbeernachtmahl war oben für mich vorbereitet. Alles was ich jetzt über ihn schreiben werde, ist eine Gemeinheit, denn ich lasse ihn nichts davon sehn oder bin zufrieden, daß er es nicht sieht. Aber ich bin sogar mitschuldig an seinem Wesen, solange ich mit ihm gehe und so gilt das was ich von ihm sage auch von mir, selbst wenn man die Künstelei abzieht, die in einer solchen Bemerkung liegt:

Ich mache Pläne. Ich sehe starr vor mich hin, um nicht die Augen von den imaginären Gucklöchern des imaginären Kaleidoskops zu entfernen in das ich schaue. Ich mische gute und eigennützige Absichten durcheinander, die guten werden in der Farbe verwaschen, die dafür auf die bloß eigennützigen übergeht. Ich lade Himmel und Erde ein, sich an meinen Plänen zu beteiligen, aber ich vergesse nicht an die kleinen Leute, die aus jeder Seitengasse hervorzuziehen sind und die vorläufig meinen Plänen besser nützen können. Es ist ja erst der Anfang immer wieder erst der Anfang. Noch stehe ich hier in meinem Jammer, aber schon kommt hinter mir der ungeheuere Wagen meiner Pläne angefahren, die erste kleine Platform schiebt sich unter meine Füße, nackte Mädchen, wie auf Carnevalswagen besserer Länder führen mich rücklings die Stufen empor, ich schwebe weil die Mädchen schweben und hebe meine Hand, die Ruhe befiehlt. Rosenbüsche stehn zu meiner Seite, Weihrauchflammen brennen, Lorbeerkränze werden herabgelassen, man streut Blumen vor und über mich, zwei Trompeter wie aus Steinquadern aufgebaut blasen Fanfaren kleines Volk läuft in Massen heran, geordnet hinter Führern, die leeren blanken gerade geschnittenen freien Plätze werden dunkel, bewegt und überfüllt, ich fühle die Grenze menschlicher Bemühungen und mache auf meiner Höhe aus eigenem Antrieb und plötzlich mich überkommendem Geschick das Kunststück eines vor vielen Jahren von mir bewunderten Schlangenmenschen, indem ich mich langsam zurückbeuge – eben versucht der Himmel aufzubrechen, um einer mir geltenden Erscheinung Raum zu geben, aber er stockt – den Kopf und Oberkörper zwischen meinen Beinen durchziehe und allmählich wieder als gerader Mensch auferstehe. War es die letzte Steigerung, die Menschen gegeben ist. Es scheint so, denn schon sehe ich aus allen Toren des tief und groß unter mir liegenden Landes die kleinen gehörnten Teufel sich herausdrängen, alles überlaufen, unter ihrem Schritt zerbricht alles in der Mitte, ihr Schwänzchen wischt alles aus, schon putzen 50 Teufelschwänze mein Gesicht, der Boden wird weich, ich versinke mit einem Fuß, dann mit dem andern, die Schreie der Mädchen verfolgen mich in meine Tiefe, in die ich lotrecht versinke, durch einen Schacht, der genau den Durchmesser meines Körpers aber eine endlose Tiefe hat. Diese Endlosigkeit verlockt zu keinen besondern Leistungen, alles was ich täte wäre kleinlich, ich falle sinnlos und es ist das Beste.

Brief Dostejews. an den Bruder über das Leben im Zuchthaus

6. VI 14 Aus Berlin zurück. War gebunden wie ein Verbrecher. Hätte man mich mit wirklichen Ketten in einen Winkel gesetzt und Gendarmen vor mich gestellt und mich nur auf diese Weise zuschauen lassen, es wäre nicht ärger gewesen. Und das war meine Verlobung und alle bemühten sich mich zum Leben zu bringen und, da es nicht gelang, mich zu dulden wie ich war. F. allerdings am wenigsten von allen, vollständig berechtigter Weise, denn sie litt am meisten. Was den andern bloße Erscheinung war, war ihr Drohung.

Wir ertrugen es zuhause keinen Augenblick. Wir wußten, daß man uns suchen würde. Aber wenn es auch abend war, wir liefen doch weg. Unsere Stadt war von Hügeln umgeben. Auf diesen Hügeln kletterten wir. Alle Bäume brachten wir zum Zittern, wenn wir uns im Abwärtslauf von einem zum andern schwangen.

Die Stellung im Geschäft am Abend kurz vor Geschäftsschluß: Die Hände in den Hosentaschen, ein wenig gebückt, aus der Tiefe des Gewölbes durch das weit offene Tor auf den Platz hinausschauen. Matte Bewegungen der Angestellten ringsherum hinter den Pulten. Ein schwaches Zusammenschnüren eines Packets, ein bewußtloses Abstauben einiger Schachteln, ein Aufeinanderschichten gebrauchten Packpapiers.

Ein Bekannter kommt und spricht mit mir. Ich lege mich förmlich auf ihn, so schwer bin ich. Er stellt folgende Behauptung auf: Manche sagen das, ich aber sage gerade das Entgegengesetzte. Er führt die Gründe seiner Meinung an. Ich schwanke. Die Hände liegen in meinen Hosentaschen als wären sie hineingefallen und doch wieder so locker, als müßte ich die Taschen nur leicht umklappen und sie fielen wieder schnell heraus.

Ich hatte das Geschäft geschlossen, die Angestellten, fremde Leute, entfernten sich mit dem Hut in der Hand. Es war ein Abend im Juni, zwar schon 8 Uhr aber noch hell. Ich hatte keine Lust einen Spaziergang zu machen, ich habe niemals Lust spazierenzugehn, aber ich wollte auch nicht nachhause. Als mein letzter Lehrjunge um die Ecke gebogen war, setzte ich mich vor dem geschlossenen Laden auf die Erde.

Ein Bekannter mit seiner jungen Frau kam vorüber und sah mich auf der Erde sitzen. Sieh wer da sitzt sagte er. Sie blieben stehn und der Mann schüttelte mich ein wenig, trotzdem ich ihn von allem Anfang ruhig ansah. Mein Gott warum sitzen Sie denn hier so fragte die junge Frau. "Ich werde mein Geschäft auflassen sagte ich. Es geht nicht besonders schlecht, auch kann ich meinen Verpflichtungen wenn auch knapp so doch vollständig nachkommen. Aber die Sorgen kann ich nicht ertragen, die Angestellten kann ich nicht beherrschen, mit den Kundschaften kann ich nicht reden. Ich werde sogar schon von morgen ab das Geschäft nicht mehr aufmachen. Es ist alles wohl überlegt. " Ich sah wie der Mann seine Frau zu beruhigen suchte, indem er ihre Hand zwischen seine beiden Hände nahm.

"Nun gut" sagte er "Sie wollen Ihr Geschäft aufgeben, Sie sind nicht der Erste, der das tut. Auch wir – er sah zu seiner Frau hinüber – werden, bis unser Vermögen für unsere Bedürfnisse ausreicht – möge es bald sein – nicht weniger zögern als Sie unser Geschäft aufzugeben. Das Geschäft macht uns ebensowenig Vergnügen wie Ihnen, das dürfen Sie uns glauben. Aber warum sitzen Sie auf der Erde"

Wohin soll ich gehn? sagte ich. Ich wußte natürlich, warum sie mich fragten. Es war Mitleid, Verwunderung und auch Verlegenheit, die sie fühlten, aber ich war durchaus nicht imstande auch noch ihnen zu helfen.

"Willst Du Dich nicht in unsere Gesellschaft aufnehmen lassen" fragte mich letzthin ein Bekannter, als er mich nach Mitternacht allein in einem schon fast leeren Kaffeehaus traf. Nein das will ich nicht sagte ich

Es war schon nach Mitternacht. Ich saß in meinem Zimmer und schrieb einen Brief, an dem mir sehr viel lag, da ich durch ihn eine gute Stellung im Ausland zu erreichen hoffte. Ich suchte dem Bekannten, an den er gerichtet war und mit dem ich jetzt nach 10jähriger Trennung zufällig durch einen gemeinschaftlichen Freund wieder in Verbindung kommen sollte, die längst vergangenen Zeiten wieder in Erinnerung zu bringen und gleichzeitig ihm begreiflich zu machen, wie mich alles aus meiner Heimat drängte und wie ich ohne sonstige, gute weitreichende Beziehungen wie ich war in ihn meine größte Hoffnung setzte.

Der Magistratsbeamte Bruder kam erst gegen 9 Uhr abends aus seiner Kanzlei nachhause. Es war schon ganz dunkel. Seine Frau erwartete ihn vor dem Haustor, ihr kleines Mädchen hielt sie an sich gedrückt. "Wie steht es?" fragte sie. "Sehr schlecht" sagte Bruder "Komm nur ins Haus, ich erzähle Dir dann alles." Kaum waren sie ins Haus getreten, sperrte Bruder das Haustor ab. Wo ist das Dienstmädchen fragte er. "In der Küche" sagte die Frau. "Dann ist gut, kommt!" Im großen niedrigen Wohnzimmer wurde die Stehlampe angezündet, alle setzten sich und Bruder sagte: Die Sache steht also folgendermaßen. Die unsrigen sind vollständig im Rückzug. Das Gefecht bei Rumdorf ist wie ich aus zweifellosen Nachrichten die im Stadtamt eingelaufen sind, ersehen habe, gänzlich zu unsern Ungunsten ausgefallen. Es ist auch schon der größte Teil der Truppen aus der Stadt weggezogen. Man verheimlicht es noch, um den Schrecken in der Stadt nicht grenzenlos zu steigern. Ich halte das für nicht ganz vernünftig, es wäre besser offen die Wahrheit zu sagen. Aber meine Pflicht verlangt, daß ich schweige. Dir allerdings die Wahrheit zu sagen, kann mich niemand hindern. Übrigens ahnen auch alle das Richtige, das merkt man überall. Alles versperrt die Häuser, versteckt was versteckt werden kann.

Der Magistratsbeamte Bruder kam erst um 10 Uhr abends aus seiner Kanzlei nachhause, trotzdem klopfte er sofort an die Tür, die sein Zimmer von der Wohnung des Möbelhändlers Rumford bei dem er eingemietet war, trennte. Er konnte zwar nur ein undeutliches Wort hören, trat aber dennoch ein. Rumford saß mit einer Zeitung beim Tisch, sein Fett plagte ihn an diesem heißen Juliabend, er hatte Rock und Weste auf das Kanapee geworfen; sein Hemd

Einige Beamten des Stadtamtes standen an der steinernen Brüstung eines Rathausfensters und sahen auf den Platz hinunter. Der letzte Teil der Nachhut wartete dort auf den Befehl zum Abzug. Es waren junge große rotwangige Burschen die ihre hin- und herzuckenden Pferde straff im Zügel hielten. Vor ihnen ritten zwei Officiere langsam auf und ab. Sie warteten offenbar auf eine Nachricht. Öfters schickten sie einen Reiter fort, der in größter Eile in einer steil ansteigenden Seitenstraße des Ringsplatzes verschwand. Bisher war keiner zurückgekehrt.

Zu der Gruppe am Fenster war der Beamte Bruder getreten, ein zwar noch junger aber vollbärtiger Mann. Da er einen höhern Rang hatte und infolge seiner Begabung in besonderem Ansehen stand, verbeugten sich alle höflich und ließen ihn bis zur Brüstung vor. "Das ist also das Ende" sagte er mit dem Blick auf den Platz "es ist ja zu offenbar. " "Sie glauben also Herr Rat sagte ein junger hochmütiger Mensch, der sich trotz der Ankunft Bruders von seinem Platze nicht weggerührt hatte und nun derart nah an Bruder stand, daß sie einander gar nicht ins Gesicht sehn konnten Sie glauben also daß die Schlacht verloren ist?" Ganz gewiß. Daran ist ja kein Zweifel. Wir sind im Vertrauen gesagt schlecht geführt. Wir müssen verschiedene alte Sünden büßen. Jetzt ist allerdings keine Zeit darüber zu reden, jetzt soll jeder für sich sorgen. Wir sind ja vor der endgiltigen Auflösung. Heute abend können die Gäste schon hier sein. Vielleicht warten sie nicht einmal bis abend sondern sind in einer 1/2 Stunde hier.

12 VI 14

Kubin. Gelbliches Gesicht, flach über den Schädel gelagertes weniges Haar, von Zeit zu Zeit angestachelter Glanz in den Augen. Angst wegen der Ansteckung, er hat sie unten geküßt, er sieht sich schon zerfallen, spricht vom "geliebten Weib" dem er dieses Unglück mitbringt. Greift die dümmste Beruhigung selig auf und entwindet sich ihr nach einem Weilchen sehr klug. – Wolfskehl, halb blind, Netzhautablösung, muß sich vor Fall oder Stoß hüten, sonst kann die Linse herausfallen dann ist alles zu Ende. Muß das Buch beim Lesen knapp an die Augen halten und aus dem Augenwinkel die Buchstaben zu erhaschen suchen. War mit Melchior Lechter in Indien, erkrankte an Dysenterie, ißt alles, jedes Obst, das er auf der Straße im Staub liegen sieht. – Pachinger hat einer Leiche einen silbernen Keuschheitsgürtel abgesägt, hat die Arbeiter, welche sie ausgegraben haben, irgendwo in Rumänien, beiseitegeschoben, hat sie mit der Bemerkung beruhigt, daß er hier eine wertlose Kleinigkeit sehe, die er sich als Andenken mitnehmen wolle, hat den Gürtel aufgesägt und vom Gerippe heruntergerissen. Findet er in einer Dorfkirche eine wertvolle Bibel oder ein Bild oder ein Blatt das er haben will, so reißt er, was er will, aus Büchern, von den Wänden, vom Altar, legt als Gegengabe ein 2hellerstück hin und ist beruhigt. – Liebe zu dicken Weibern. Jede Frau, die er hatte, wird photographiert. Stoß von Photographien, den er jedem Besucher zeigt. Sitzt in der einen Sophaecke, der Besucher, von ihm weit entfernt, in der andern. Pachinger sieht kaum hin und weiß doch immer, welche Photographie an der Reihe ist und gibt danach seine Erklärungen: Das war eine alte Witwe, das waren die zwei ungarischen Dienstmädchen u. s. w. – Über Kubin: "Ja, Meister Kubin, Sie sind ja im Aufschwung, in 10 bis 20 Jahren können Sie, wenn es so anhält eine Stellung wie Bayros haben. "

Brief Dostojewskis an eine Malerin. Das gesellschaftliche Leben geht im Kreis vor sich. Nur die mit einem bestimmten Leiden Behafteten verstehn einander. Sie bilden kraft der Natur ihres Leidens einen Kreis und unterstützen sich. Sie gleiten an den innern Rändern ihres Kreises entlang, lassen einander den Vorrang oder schieben im Gedränge einer sanft den andern. Jeder spricht dem andern zu in der Hoffnung einer Rückwirkung auf sich oder, dann geschieht es leidenschaftlich, im unmittelbaren Genuß dieser Rückwirkung. Jeder hat nur die Erfahrung, die ihm sein Leiden gestattet, trotzdem hört man unter solchen Genossen den Austausch ungeheuerlich verschiedenartiger Erfahrungen. "Du bist so" sagt einer zum andern "statt zu klagen, danke Gott dafür daß Du so bist, denn wärest Du nicht so dann wärest Du in diesem oder jenem Unglück, in dieser oder jener Schande. " Woher weiß das nun dieser Mann? Er gehört doch, das verrät dieser Ausspruch, zu dem gleichen Kreis wie der Angesprochene, seine Trostbedürftigkeit ist gleicher Art. Im gleichen Kreis weiß man aber immer das Gleiche. Es gibt nicht den Hauch eines Gedankens, den der Tröstende vor dem Getrösteten voraus hätte. Ihre Gespräche sind daher nur Vereinigungen der Einbildungskraft, Übergüsse der Wünsche von einem auf den andern. Einmal sieht der eine zu Boden, und der andere einem Vogel nach, in solchen Unterschieden spielt sich ihr Verkehr ab. Einmal einigen sie sich im Glauben und sehen beide Kopf an Kopf in unendlichen Richtungen der Höhe. Erkenntnis ihrer Lage zeigt sich aber nur dann wenn sie gemeinsam die Köpfe senken und der gemeinsame Hammer auf sie niedergeht.

14 (Juni 1914)

Mein ruhiger Gang, während es um den Kopf zuckt und ein über den Kopf schwach schleifender Ast mir das ärgste Unbehagen macht. Ich habe die Ruhe, ich habe die Sicherheit anderer Menschen in mir aber irgendwie am verkehrten Ende

19. VI (1914) Die Aufregungen der letzten Tage. Die Ruhe die von Dr. W. auf mich übergeht. Die Sorgen die er für mich trägt. Wie sie heute früh, als ich um 4 nach festem Schlafe aufwachte, in mich übersiedelten. Pistekovo divadlo. Löwenstein! Jetzt der grobe aufregende Roman von Soyka. Angst. Überzeugung der Notwendigkeit von F.

24 VI 14 Elli erzählt:

"Liebster Schatzi! Ich sehne mich nach Deinem elastischen Körper"

Wie wir uns, O. und ich, austoben in Wut gegen Menschenverbindungen.

Das Grab der Eltern in dem auch der Sohn ("Pollak, Handelsakademiker") begraben ist.

25 VI 14

Vom frühen Morgen an bis jetzt zur Dämmerung gieng ich in meinem Zimmer auf und ab. Das Fenster war offen, es war ein warmer Tag. Der Lärm der engen Gasse trieb ununterbrochen herein. Ich kannte schon jede Kleinigkeit im Zimmer durch das Anschauen während meines Rundganges. Alle Wände hatte ich mit den Blicken abgestreift. Dem Muster des Teppichs und seinen Altersspuren war ich bis in die letzten Verzweigungen nachgegangen. Den Tisch in der Mitte hatte ich vielemal mit Fingerspannen abgemessen. Zum Bild des verstorbenen Mannes meiner Wirtin hatte ich schon die Zähne oft gefletscht. Gegen Abend trat ich zum Fenster und setzte mich auf die niedrige Brüstung. Da blickte ich zufällig zum erstenmal ruhig von einem Platz in das Innere des Zimmers und zur Decke auf. Endlich, endlich begann wenn ich mich nicht täuschte dieses so vielfach von mir erschütterte Zimmer sich zu rühren. An den Rändern der weißen mit schwachen Gipsverzierungen umzogenen Decke begann es. Kleine Mörtelstücke lösten sich los und fielen wie zufällig hie und da mit bestimmtem Schlag zu Boden. Ich streckte die Hand aus und auch in meine Hand fielen einige, ich warf sie ohne mich in meiner Spannung auch nur umzudrehn, über meinen Kopf hinweg in die Gasse. Die Bruchstellen oben hatten noch keinen Zusammenhang, aber man konnte ihn sich immerhin schon irgendwie bilden. Aber ich ließ von solchen Spielen ab, als sich jetzt dem Weiß ein bläuliches Violett beizumischen begann, es gieng von dem weiß bleibenden, ja geradezu weiß erstrahlenden Mittelpunkt der Decke aus, in welchen knapp oben die armselige Glühlampe eingesteckt war. Immer wieder in Stößen drängte sich die Farbe oder war es ein Licht, gegen den sich jetzt verdunkelnden Rand hin. Man achtete gar nicht mehr auf den fallenden Mörtel, der wie unter dem Druck eines sehr genau geführten Werkzeuges absprang. Da drängen in das Violett von den Seiten her gelbe, goldgelbe Farben. Die Zimmerdecke färbte sich aber nicht eigentlich, die Farben machten sie nur irgendwie durchsichtig, über ihr schienen Dinge zu schweben, die durchbrechen wollten, man sah schon fast das Treiben dort in Umrissen, ein Arm streckte sich aus, ein silbernes Schwert schwebte auf und ab. Es galt mir, das war kein Zweifel, eine Erscheinung, die mich befreien sollte, bereitete sich vor. Ich sprang auf den Tisch, um alles vorzubereiten, riß die Glühlampe samt ihrem Messingstab heraus und schleuderte sie auf den Boden, sprang dann herunter und stieß den Tisch aus der Mitte des Zimmers zur Wand hin. Das, was kommen wollte, konnte sich ruhig auf den Teppich niederlassen und mir melden, was es zu melden hatte. Kaum war ich fertig, brach die Decke wirklich auf. Noch aus großer Höhe, ich hatte sie schlecht eingeschätzt senkte sich im Halbdunkel langsam ein Engel in bläulich violetten Tüchern, umwickelt mit goldenen Schnüren, auf großen weißen seidig glänzenden Flügeln herab, das Schwert im erhobenen Arm wagrecht ausgestreckt. "Also ein Engel!" dachte ich "den ganzen Tag fliegt er auf mich zu und ich in meinem Unglauben wußte es nicht. Jetzt wird er zu mir sprechen. " Ich senkte den Blick. Aber als ich ihn wieder hob, war zwar noch der Engel da, hieng ziemlich tief unter der Decke, die sich wieder geschlossen hatte, war aber kein lebendiger Engel, sondern nur eine bemalte Holzfigur von einem Schiffsschnabel, wie sie in Matrosenkneipen an der Decke hängen. Nichts weiter. Der Knauf des Schwertes war dazu eingerichtet Kerzen zu halten und den fließenden Talg aufzunehmen. Die Glühlampe hatte ich heruntergerissen, im Dunkel wollte ich nicht bleiben, eine Kerze fand sich noch, so stieg ich also auf einen Sessel, steckte die Kerze in den Schwertknauf, zündete sie an und saß dann noch bis in die Nacht hinein unter dem schwachen Licht des Engels.

30 VI 14

Hellerau Leipzig mit Pick. Ich habe mich schrecklich aufgeführt. Konnte nicht fragen, nicht antworten, nicht mich bewegen, knapp noch in die Augen sehn. Mann der für den Flottenverein wirbt, das dicke Wurstessende Paar, Thomas bei dem wir wohnen, Prescher, der uns hinführt, Frau Thomas, Hegner, Fantl und Frau, Adler, Frau und Kind Anneliese, Frau Dr. Kraus, Frl. Pollak, die Schwester der Frau Fantl, Katz, Mendelssohn (Kind des Bruders, Alpinum, Engerlinge, Fichtennadelbad) Waldschenke, "Natura" Wolff, Haas, Vorlesung von Narciss, im Garten von Adler, Besichtigung des Dalcrozehauses, Abend in der Waldschenke – Bugra – Schrecken über Schrecken. Mißlungenes: Nichtfinden der "Natura", Ablaufen der Struvestraße; falsche Elektrische nach Hellerau, kein Zimmer in der Waldschenke; Vergessen, daß ich mich von Erna dort antelephonieren lassen will daher Umkehr; Fantl nicht mehr getroffen; Dalcroze in Genf; nächsten Morgen zu spät in die Waldschenke gekommen (F. hat nutzlos telephoniert); Entschluß nicht nach Berlin sondern nach Leipzig zu fahren; sinnlose Fahrt; irrtümlicher Weise Personenzug; Wolff fährt gerade nach Berlin; Lasker-Schüler belegt Werfel; sinnloser Besuch der Ausstellung; schließlich zum Abschluß im Arco ganz sinnlos Pick um eine alte Schuld gemahnt.

1. VI (Juli) 14 Zu müde.

5. VII 14 Solche Leiden tragen müssen und verursachen!

29 VII 14 Notizen über die Reise in ein anderes Heft eingetragen. Mißlungene Arbeiten angefangen. Ich gebe aber nicht nach trotz Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, allgemeiner Unfähigkeit. Es ist die letzte Lebenskraft, die sich in mir dazu gesammelt hat. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß ich nicht deshalb den Menschen ausweiche um ruhig leben, sondern um ruhig sterben zu können. Nun werde ich mich aber wehren. Einen Monat während der Abwesenheit meines Chefs habe ich Zeit.

31. (Juli 1914) Ich habe keine Zeit. Es ist allgemeine Mobilisierung. K. und P. sind einberufen. Jetzt bekomme ich den Lohn des Alleinseins. Es ist allerdings kaum ein Lohn, Alleinsein bringt nur Strafen. Immerhin, ich bin wenig berührt von allem Elend und entschlossener als jemals. Nachmittag werde ich in der Fabrik sein müssen, wohnen werde ich nicht zuhause, denn E. mit den 2 Kindern übersiedelt zu uns. Aber schreiben werde ich trotz alledem, unbedingt, es ist mein Kampf um die Selbsterhaltung.

1. (August 1914) K. zur Bahn begleitet. Im Bureau die Verwandten rund herum. Lust zu Valli zu fahren.

2. (August 1914) Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule

3 VIII 14

Allein in der Wohnung meiner Schwester. Sie liegt tiefer als mein Zimmer, es ist auch eine abseits gelegene Gasse, daher lautes Gerede der Nachbarn unten vor den Türen. Auch Pfeifen. Sonst vollendete Einsamkeit. Keine ersehnte Ehefrau öffnet die Tür. In einem Monat hätte ich heiraten sollen. Ein furchtbares Wort: Wie Du es wolltest, so hast Du es. Man steht an der Wand schmerzhaft festgedrückt, senkt furchtsam den Blick, um die Hand zu sehn, die drückt und erkennt mit einem neuen Schmerz der den alten vergessen macht, die eigene verkrümmte Hand, die mit einer Kraft, die sie für gute Arbeit niemals hatte, dich hält. Man hebt den Kopf, fühlt wieder den ersten Schmerz, senkt wieder den Blick und hört mit diesem Auf und Ab nicht auf.

4 VIII 14 Ich habe dem Hausherrn, als ich die Wohnung für mich mietete, wahrscheinlich ein Schriftstück unterschrieben, in dem ich mich zu einer zweijährigen oder gar sechsjährigen Miete verpflichtet habe. Jetzt stellt er die Forderung aus diesem Vertrag. Die Dummheit oder besser allgemeine und endgültige Wehrlosigkeit, die mein Verhalten zeigt. In den Fluß gleiten. Dieses Gleiten kommt mir wahrscheinlich deshalb so wünschenswert vor, weil es mich an "geschoben werden" erinnert.

5 VIII (1914) fast geordnet unter letztem Kraftverbrauch. Mit Malek als Zeugen zweimal dort gewesen, bei Felix wegen der Fassung eines Vertrages, beim Advokaten zweimal (6 K) und alles unnötig, alles hätte ich selbst tun können und sollen.

6 VIII (1914) Die Artillerie, die über den Graben zog. Blumen, Heil und Nazdarrufe. Das krampfhaft stille, erstaunte aufmerksame schwarze und schwarzäugige Gesicht. – Ich bin zerrüttet statt erholt. Ein leeres Gefäß, noch ganz und schon unter Scherben oder schon Scherbe und noch unter den Ganzen. Voll Lüge, Haß und Neid. Voll Unfähigkeit, Dummheit, Begriffstützigkeit. Voll Faulheit, Schwäche und Wehrlosigkeit. 31 Jahre alt. Ich sah die 2 Ökonomen M. auf Ottlas Bild. Junge frische Leute, die etwas wissen und kräftig genug sind, es mitten unter den notwendigerweise ein wenig Widerstand leistenden Menschen anzuwenden. – Einer führt die schönen Pferde, der andere liegt im Gras und läßt die Zungenspitze in dem sonst unbeweglichen und unbedingt vertrauenswürdigen Gesicht zwischen den Lippen spielen.

5. (August 1914) Ich entdecke in mir nichts als Kleinlichkeit, Entschlußunfähigkeit, Neid und Haß gegen die Kämpfenden, denen ich mit Leidenschaft alles Böse wünsche.

6. (August 1914) Von der Litteratur aus gesehen ist mein Schicksal sehr einfach. Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften innern Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt und es ist in einer schrecklichen Weise verkümmert und hört nicht auf zu verkümmern. Nichts anderes kann mich jemals zufrieden stellen. Nun ist aber meine Kraft für jene Darstellung ganz unberechenbar, vielleicht ist sie schon für immer verschwunden, vielleicht kommt sie doch noch einmal über mich, meine Lebensumstände sind ihr allerdings nicht günstig. So schwanke ich also, fliege unaufhörlich zur Spitze des Berges, kann mich aber kaum einen Augenblick oben erhalten. Andere schwanken auch, aber in untern Gegenden, mit stärkeren Kräften; drohen sie zu fallen, so fängt sie der Verwandte auf, der zu diesem Zweck neben ihnen geht. Ich aber schwanke dort oben, es ist leider kein Tod, aber die ewigen Qualen des Sterbens.

Patriotischer Umzug. Rede des Bürgermeisters. Dann Verschwinden, dann Hervorkommen und der deutsche Ausruf: "Es lebe unser geliebter Monarch, hoch. " Ich stehe dabei mit meinem bösen Blick. Diese Umzüge sind eine der widerlichsten Begleiterscheinungen des Krieges. Ausgehend von jüdischen Handelsleuten, die einmal deutsch, einmal tschechisch sind, es sich zwar eingestehen, niemals aber es so laut herausschreien dürfen wie jetzt. Natürlich reißen sie manchen mit. Organisiert war es gut. Es soll sich jeden Abend wiederholen, morgen Sonntag zweimal.

7. (August 1914) Man behandelt, selbst wenn man nicht die geringste sichtbare Fähigkeit zu individualisieren hat, doch jeden nach seiner Art. "L. aus Binz" streckt mir, um auf sich aufmerksam zu machen, den Stock entgegen und erschreckt mich.

Die festen Schritte auf der Schwimmschule.

Gestern und heute 4 Seiten geschrieben, schwer zu überbietende Geringfügigkeiten.

Der ungeheuere Strindberg. Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten.

Chorgesang aus dem gegenüberliegenden Wirtshaus. – Gerade bin ich zum Fenster gegangen. Schlaf scheint unmöglich. Durch die offene Gasthaustüre kommt der volle Gesang. Eine Mädchenstimme intoniert. Es sind unschuldige Liebeslieder. Ich ersehne einen Schutzmann. Gerade kommt er. Er bleibt ein Weilchen vor der Tür stehn und hört zu. Dann ruft er: "Der Wirt! " Die Mädchenstimme: "Vojtíšku. " Aus einer Ecke springt ein Mann in Hose und Hemd. "Macht die Tür zu! Wer soll den Lärm anhören?" "Oh bitte, oh bitte" sagt der Wirt und mit zarten entgegenkommenden Bewegungen, als verhandele er mit einer Dame schließt er zuerst die Tür hinter sich, öffnet sie dann um hineinzuschlüpfen und schließt sie wieder. Der Schutzmann (dessen Verhalten insbesondere dessen Wut unbegreiflich ist, denn ihn kann der Gesang nicht stören, sondern nur seinen langweiligen Dienst versüßen) marschiert ab, die Sänger haben die Lust am Singen verloren.

11. (August 1914) Vorstellung daß ich in Paris geblieben bin, Arm in Arm mit dem Onkel eng an ihn gedrückt durch Paris gehe 12. (August 1914) Gar nicht geschlafen. Nachmittag 3 Stunden schlaflos und dumpf auf dem Kanapee gelegen, in der Nacht ähnlich. Es darf mich aber nicht hindern.

15. (August 1914) Ich schreibe seit paar Tagen, möchte es sich halten. So ganz geschützt und in die Arbeit eingekrochen, wie ich es vor 2 Jahren war, bin ich heute nicht, immerhin habe ich doch einen Sinn bekommen, mein regelmäßiges, leeres, irrsinniges junggesellenmäßiges Leben hat eine Rechtfertigung. Ich kann wieder ein Zwiegespräch mit mir führen und starre nicht so in vollständige Leere. Nur auf diesem Wege gibt es für mich eine Besserung.

Eine Zeit meines Lebens – es ist nun schon viele Jahre her – hat ich eine Anstellung bei einer kleinen Bahn im Innern Rußlands. So verlassen wie dort bin ich niemals gewesen. Aus verschiedenen Gründen, die nicht hierhergehören, suchte ich damals einen solchen Ort, jemehr Einsamkeit mir um die Ohren schlug, desto lieber war ich und ich will also auch jetzt nicht darüber klagen. Nur Beschäftigung fehlte mir in der ersten Zeit. Die kleine Bahn war ursprünglich vielleicht aus irgendwelchen wirtschaftlichen Absichten angelegt worden, das Kapital hatte aber nicht ausgereicht, der Bau kam ins Stocken und statt nach Kalda dem nächsten von uns 5 Tagereisen mit dem Wagen entfernten größern Ort zu führen machte die Bahn bei einer kleinen Ansiedlung geradezu in einer Einöde halt, von wo noch eine ganze Tagereise nach Kalda nötig war. Nun hätte die Bahn selbst wenn sie bis Kalda ausgedehnt worden wäre noch für unabsehbare Zeiten unrentabel bleiben, denn ihr ganzer Plan war verfehlt, das Land brauchte Straßen aber keine Eisenbahnen, in dem Zustand jedoch in dem sich die Bahn jetzt befand, konnte sie überhaupt nicht bestehn, die zwei Züge die täglich verkehrten, führten Lasten mit sich, die ein leichter Wagen hätte transportieren können, und Passagiere waren nur ein paar Feldarbeiter im Sommer. Aber man wollte die Bahn doch nicht gänzlich eingehn lassen, denn man hoffte immer noch, dadurch daß man sie im Betrieb erhielt, für den weitern Ausbau Kapital anzulocken. Auch diese Hoffnung war meiner Meinung nach nicht sosehr Hoffnung, als vielmehr Verzweiflung und Faulheit. Man ließ die Bahn laufen, solange noch Material und Kohle vorhanden waren, man zahlte den paar Arbeitern die Löhne unregelmäßig und verkürzt, als wären es Gnadengeschenke und wartete im übrigen auf den Zusammenbruch des Ganzen.

Bei dieser Bahn also war ich angestellt und bewohnte einen Holzverschlag, der noch seit dem Bau der Bahn dort zurückgeblieben war und gleichzeitig als Stationsgebäude diente. Es hatte nur einen Raum, in dem eine Pritsche für mich aufgestellt war und ein Pult für mögliche Schreibarbeiten, über ihm war der telegraphische Apparat angebracht. Als ich im Frühjahr hinkam, passierte der eine Zug die Station sehr früh – später wurde das geändert – und es geschah manchmal, daß irgendein Passagier zur Station kam während ich noch schlief. Er blieb dann natürlich – die Nächte waren dort bis in die Mitte des Sommers hinein sehr kühl – nicht im Freien, sondern klopfte an, ich riegelte auf und wir verbrachten dann oft ganze Stunden mit Plaudern. Ich lag auf meiner Pritsche, mein Gast hockte auf dem Boden oder kochte nach meiner Anweisung Tee, den wir dann beide in gutem Einverständnis tranken. Alle diese Dorfleute zeichnet große Verträglichkeit aus. Ich merkte übrigens daß ich nicht sehr dazu angetan war, vollständige Einsamkeit zu ertragen, wenn ich mir auch sagen mußte, daß diese Einsamkeit die ich mir auferlegt hatte, schon nach kurzer Zeit die vergangenen Sorgen zu zerstreuenbegann. Ich habe überhaupt gefunden, daß es eine große Kraftprobe für ein Unglück ist, einen Menschen in der Einsamkeit dauernd zu beherrschen. Die Einsamkeit ist mächtiger als alles und treibt einen wieder den Menschen zu. Natürlich versucht man dann andere, scheinbar weniger schmerzliche, in Wirklichkeit bloß noch unbekannte Wege zu finden.

Ich schloß mich den Leuten dort mehr an, als ich gedacht hatte. Ein regelmäßiger Verkehr war es natürlich nicht. Von den fünf Dörfern, die für mich in Betracht kamen, war jedes einige Stunden sowohl von der Station, als auch von den andern Dörfern entfernt. Allzuweit mich von der Station zu entfernen durfte ich nicht wagen, wenn ich nicht meinen Posten verlieren wollte. Und das wollte ich wenigstens in der ersten Zeit durchaus nicht. In die Dörfer selbst konnte ich also nicht gehn und blieb auf die Passagiere angewiesen oder auf die Leute, welche den weiten Weg nicht scheuten um mir einen Besuch zu machen. Schon im ersten Monat fanden sich solche Leute ein, aber wie freundlich sie auch waren, es war leicht zu erkennen, daß sie nur kamen, um vielleicht ein Geschäft mit mir zu machen; sie verbargen übrigens auch ihre Absicht gar nicht. Sie brachten verschiedene Waren und ich kaufte zuerst, solange ich Geld hatte, gewöhnlich fast unbesehen alles ein, so willkommen waren mir die Leute, besonders einzelne. Später schränkte ich die Einkäufe allerdings ein, unter anderem auch deshalb, weil ich zu bemerken glaubte, daß meine Art einzukaufen ihnen verächtlich erschien. Außerdem bekam ich auch Lebensmittel mit der Bahn, die waren allerdings ganz schlecht und noch viel teuerer, als das was die Bauern brachten. Ursprünglich hatte ich ja beabsichtigt, einen kleinen Gemüsegarten anzulegen, eine Kuh zu kaufen und mich auf diese Weise möglichst unabhängig von allen zu machen. Ich hatte auch Gartengeräte und Aussaat mitgebracht, Boden war überreichlich da, unbebaut dehnte er sich in einer einzigen Fläche um meine Hütte ohne die geringste Erhöhung soweit das Auge reichte. Aber ich war zu schwach um diesen Boden zu bezwingen. Ein widerspenstiger Boden, der bis ins Frühjahr festgefroren war und selbst meiner neuen scharfen Hacke widerstand. Was man an Aussaat in ihn senkte war verloren. Ich bekam Verzweiflungsanfälle bei dieser Arbeit. Ich lag dann tagelang auf meiner Pritsche und kam nicht einmal bei Ankunft der Züge hinaus. Ich steckte dann nur den Kopf aus der Luke, die gerade über der Pritsche angebracht war, und machte die Meldung, daß ich krank sei. Dann kam das Zugspersonal, das aus 3 Mann bestand, zu mir herein, um sich zu wärmen, aber sie fanden nicht viel Wärme, denn ich vermied es womöglich den alten leicht explodierenden Eisenofen zu benützen. Ich lag lieber in einen alten warmen Mantel eingepackt und mit verschiedenen Fellen zugedeckt, die ich den Bauern nach und nach abgekauft hatte. "Du bist oft krank" sagten sie mir "Du bist ein kränklicher Mensch. Du wirst nicht mehr von hier fortkommen. " Sie sagten es nicht etwa um mich traurig zu machen, sondern sie hatten das Bestreben, wenn es nur möglich, die Wahrheit rund herauszusagen. Sie taten das meistens unter einem eigentümlichen Glotzen der Augen.

Einmal im Monat, aber immer zu verschiedenen Zeiten kam ein Inspektor, um mein Vormerkbuch zu überprüfen, das eingenommene Geld mir abzunehmen und – dies aber nicht immer – den Lohn mir auszuzahlen. Seine Ankunft wurde mir immer einen Tag vorher von den Leuten angezeigt, die ihn in der letzten Station abgesetzt hatten. Diese Anzeige hielten sie für die größte Wohltat, die sie mir erweisen konnten, trotzdem ich natürlich jeden Tag alles in Ordnung hatte. Es war auch

(Fortsetzung des Textes in den Konvoluten)


Revision: 2021/01/09 - 23:40 - © Mauro Nervi




Top Back Print Search Sitemap Tip Login