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2024/04/18 - 21:18

aus «Gedanken für den Tag»

von Janko Ferk

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DONNERSTAG

 

Der Schriftsteller Franz Kafka, gelernter und promovierter Jurist, hat sich in seinen Schriften immer wieder mit quasi-rechtlichen Themen befaßt. Auch die Bedeutung der Gerechtigkeit hat er bewußt literarisiert, und zwar im Titorelli-Kapitel seines Romans „Der Prozeß“. Über die Gerechtigkeit schreibt er nicht nur im „Prozeß“, sondern ebenso im „Amerika“-Roman und in der „Strafkolonie“-Erzählung.

Die Gerechtigkeit spielt naturgemäß in Kafkas Privatleben hinein. Als Anfang September 1917 endgültig seine Lungentuberkulose diagnostiziert wird, schreibt er seiner Lieblingsschwester Ottla und stellt seine Krankheit recht merkwürdig dar: „... in dieser Krankheit liegt zweifellos Gerechtigkeit, es ist ein gerechter Schlag, den ich nebenbei gar nicht als Schlag fühle, sondern als etwas im Vergleich zum Durchschnitt der letzten Jahre durchaus Süßes“.

Für Kafka ist es also gerecht, vom Leben sozusagen irdisch und grob behandelt zu werden. Mit einem Schlag, der ihn letztlich sein Leben, und zwar in eher jungen Jahren, kostet.

Viel irdischer, nachvollziehbarer und verständlicher klingt dann schon eine „Gerechtigkeitsoperation“, die Franz Kafka durchgeführt hat: Ein Hilfsarbeiter, der nach einem Arbeitsunfall einen Prozeß wegen einer angemessenen Invalidenrente angestrengt hat, hätte diesen mit Sicherheit verloren, wenn er nicht sozusagen im letzten Moment von einem namhaften Prager Rechtsanwalt vertreten worden wäre. Bestellt und aus der eigenen Tasche bezahlt hat diesen Advokaten niemand anderer als Franz Kafka, der vor Gericht seinen Arbeitgeber, die Arbeiter-Unfall-Versicherung vertreten hat. Kafka wollte aufgrund seines unbedingten Gerechtigkeitsempfindens den Prozeß „in Ehren“, das heißt, gegen seinen Auftraggeber, „verspielen“. Wer würde von einem Menschen soviel soziales Mitgefühl und Gerechtigkeit erwarten...

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Revision: 2021/01/09 - 23:40 - © Mauro Nervi




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