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2024/04/19 - 00:36

Konvolute

21 Aug. 14 Mit solchen Hoffnungen angefangen und von allen drei Geschichten zurückgeworfen, heute am stärksten. Vielleicht ist es richtig, daß die russische Geschichte nur immer nach dem Proceß gearbeitet werden durfte. In dieser lächerlichen Hoffnung, die sich offenbar nur auf eine mechanische Phantasie stützt, fange ich wieder den Proceß an. – Ganz nutzlos war es nicht.

29 Aug (1914) Schluß eines Kapitels mißlungen, ein anderes schön begonnenes Kapitel werde ich kaum oder vielmehr ganz bestimmt nicht so schön weiterführen können, während es mir damals in der Nacht sicher gelungen wäre. Ich darf mich aber nicht verlassen, ich bin ganz allein.

30 (August 1914) kalt und leer. Ich fühle allzusehr die Grenzen meiner Fähigkeit, die, wenn ich nicht vollständig ergriffen bin, zweifellos nur eng gezogen sind. Und ich glaube selbst im Ergriffensein nur in diese engen Grenzen gezogen zu werden, die ich dann allerdings nicht fühle, da ich gezogen werde. Trotzdem ist in diesen Grenzen Raum zum Leben und dafür werde ich sie wohl bis zur Verächtlichkeit ausnützen.

½ 2 nachts. Gegenüber weint ein Kind. Plötzlich spricht ein Mann im gleichen Zimmer, so nah als wäre er vor meinem Fenster. "Ich will lieber aus dem Fenster fliegen, als das noch länger anhören. " Er brummt noch etwas von Nervosität, die Frau sucht stumm nur mit Zischlauten das Kind wieder in Schlaf zu bringen

1. IX. (1914) In gänzlicher Hilflosigkeit kaum 2 Seiten geschrieben. Ich bin heute sehr stark zurückgewichen, trotzdem ich gut geschlafen hatte. Aber ich weiß daß ich nicht nachgeben darf, wenn ich über die untersten Leiden des schon durch meine übrige Lebensweise niedergehaltenen Schreibens in die größere auf mich vielleicht wartende Freiheit kommen will. Die alte Stumpfheit hat mich noch nicht ganz verlassen wie ich merke und die Herzenskälte wird mich vielleicht nie verlassen. Daß ich vor keiner Demütigung zurückschrecke, kann ebensogut Hoffnungslosigkeit bedeuten, als Hoffnung geben.

13. IX (1914) Wieder kaum 2 Seiten. Zuerst dachte ich die Traurigkeit über die österreichischen Niederlagen und die Angst vor der Zukunft (eine Angst die mir im Grunde lächerlich und zugleich infam vorkommt) werden mich überhaupt am Schreiben hindern. Das war es nicht, nur ein Dumpfsein, das immer wieder kommt und immer wieder überwunden werden muß. Für die Traurigkeit selbst ist außerhalb des Schreibens Zeit genug. Die Gedankengänge die sich an den Krieg knüpfen sind in der quälenden Art mit der sie mich in den verschiedensten Richtungen zerfressen ähnlich den alten Sorgen wegen F. Ich bin unfähig Sorgen zu tragen und bin dazu vielleicht gemacht, an Sorgen zugrundezugehn. Wenn ich genug geschwächt bin – und das muß nicht sehr lange dauern – wird vielleicht die kleinste Sorge genügen, um mich auseinanderzutreiben. In dieser Aussicht kann ich allerdings auch die Möglichkeit finden, das Unglück möglichst lange hinauszuschieben. Ich habe zwar mit aller Kraftaufwendung einer damals verhältnismäßig noch wenig geschwächten Natur wenig gegen die Sorgen wegen F. ausgerichtet, aber ich hatte damals nur in der Anfangzeit die große Hilfe des Schreibens, die ich mir jetzt nicht mehr entreißen lassen will.

7 Okt. 14 Ich habe mir eine Woche Urlaub genommen, um den Roman vorwärtszutreiben. Es ist bis heute – heute ist Mittwochnacht, Montag geht mein Urlaub zuende – mißlungen. Ich habe wenig und schwächlich geschrieben. Allerdings war ich schon in der vorigen Woche im Niedergang; daß es aber so schlimm werden würde, konnte ich nicht voraussehn. Erlauben diese 3 Tage schon Schlüsse darauf, daß ich nicht würdig bin, ohne Bureau zu leben?

15 (Oktober 1914) 14 Tage, gute Arbeit zum Teil, vollständiges Begreifen meiner Lage. – Heute Donnerstag (Montag ist mein Urlaub zu Ende ich habe noch eine weitere Woche Urlaub genommen) Brief von Frl. Bl. Ich weiß nicht was damit anfangen, ich weiß, daß es so bestimmt ist, daß ich allein bleibe (wenn ich überhaupt bleibe, was gar nicht bestimmt ist) ich weiß auch nicht ob ich F. lieb habe (ich denke an meinen Widerwillen bei ihrem Anblick als sie tanzte mit strengem gesenktem Blick oder als sie kurz vor dem Weggehn im Askan. Hof mit der Hand über die Nase und in die Haare fuhr und die unzähligen Augenblicke vollständigster Fremdheit) aber trotz allem tritt wieder die unendliche Verlockung ein, ich habe mit dem Brief den ganzen Abend über gespielt, die Arbeit stockt, trotzdem ich mich (allerdings bei quälenden Kopfschmerzen, die ich schon die ganze Woche über habe) zu ihr fähig fühle. Ich schreibe noch den Brief aus dem Gedächtnis auf, den ich Frl. Bl. geschrieben habe:

"Es ist ein sonderbares Zusammentreffen Frl. Grete, daß ich Ihren Brief gerade heute bekam. Ich will das, womit er zusammengetroffen ist, nicht nennen, es betrifft nur mich und die Gedanken, die ich mir machte, als ich mich heute nachts etwa gegen 3 Uhr ins Bett legte. (Selbstmord, Brief an Max mit vielen Aufträgen)

Ihr Brief überrascht mich sehr. Es überrascht mich nicht, daß Sie mir schreiben. Warum sollten Sie mir nicht schreiben? Sie schreiben zwar, daß ich Sie hasse, es ist aber nicht wahr. Wenn Sie alle hassen sollten, ich hasse Sie nicht und nicht nur deshalb, weil ich kein Recht dazu habe. Sie sind zwar im Askanischen Hof als Richterin über mir gesessen, es war abscheulich für Sie, für mich, für alle – aber es sah nur so aus, in Wirklichkeit bin ich auf Ihrem Platz gesessen und bin noch bis heute dort.

In F. täuschen Sie sich vollständig. Ich sage das nicht um Einzelheiten herauszulocken. Ich kann mir keine Einzelheit denken – und meine Einbildungskraft hat sich in diesen Kreisen schon viel herumgejagt, so daß ich ihr vertraue – ich sage, ich kann mir keine Einzelheit denken, die mich davon überzeugen könnte, daß Sie sich nicht täuschen. Das was Sie andeuten ist vollständig unmöglich, es macht mich unglücklich zu denken, daß F. aus irgendeinem unerfindlichen Grunde etwa sich selbst täuschen sollte. Aber auch das ist unmöglich.

Ihre Anteilnahme habe ich immer für wahr und gegen sich selbst rücksichtslos gehalten. Auch den letzten Brief zu schreiben, ist Ihnen nicht leicht geworden. Ich danke Ihnen dafür herzlich. "

Was ist damit getan? Der Brief sieht unnachgiebig aus, aber nur deshalb weil ich mich schämte, weil ich es für unverantwortlich hielt, weil ich mich fürchtete nachgiebig zu sein, nicht etwa, weil ich es nicht wollte. Ich wollte sogar nichts anderes. Es wäre für uns alle das beste wenn sie nicht antworten würde, aber sie wird antworten und ich werde auf ihre Antwort warten.

--------------er Tag des Urlaubs. 1/2 3 Nachts, fast nichts

------------tel gelesen und schlecht gefunden. Zweierlei

---------------mißlungen. Vor mir liegt das Bureau und

-----------ei der zugrundegehenden Fabrik. Ich bin aber

-----------ganz ohne Fassung. Und mein stärkster Halt ist

----iger Weise der Gedanke an F., trotzdem ich im gestrigen

-----f jeden Versuch einer Anknüpfung abgewehrt habe. Ich habe jetzt 2 Monate ohne jede tatsächliche Verbindung mit F. (außer durch den Briefwechsel mit Erna) ruhig gelebt, von F. geträumt wie von einer Toten, die niemals wieder leben könnte und jetzt da ich eine Möglichkeit an sie heranzukommen, dargeboten bekomme, ist sie wieder der Mittelpunkt des Ganzen. Sie stört wohl auch meine Arbeit. Wie kam sie mir doch, als ich in der letzten Zeit manchmal an sie dachte, als der fremdeste Mensch vor, mit dem ich jemals zusammengekommen war, wobei ich mir allerdings sagte, daß diese ganz besondere Fremdheit ihren Grund darin hat, daß F. mir näher als irgendein anderer Mensch kam oder wenigstens von den andern in diese Nähe zu mir gestellt wurde.

Das Tagebuch ein wenig durchgeblättert. Eine Art Ahnung der Organisation eines solchen Lebens bekommen.

21 (Oktober 1914) Seit 4 Tagen fast nichts gearbeitet, immer nur eine Stunde und nur paar Zeilen, aber besser geschlafen, Kopfschmerzen dadurch fast verloren. Keine Antwort von Bl., morgen ist die letzte Möglichkeit

25. (Oktober 1914) Fast vollständiges Stocken der Arbeit. Das was geschrieben wird scheint nichts selbständiges, sondern der Widerschein guter früherer Arbeit. Antwort von Bl. ist gekommen, ich wegen der Beantwortung vollständig unentschieden. Gedanken so gemein, daß ich sie gar nicht aufschreiben kann. Die gestrige Traurigkeit. Als Ottla mir bis zur Treppe nachgieng, von einer Ansichtskarte erzählte, --

hatte und irgendeine Antwort von mir haben wol--------

nichts sagen. Vor Traurigkeit vollständig unfähi---------

ich nur mit den Schultern ein Zeichen geben. -------------

der Geschichte des Pick trotz einzelner Vorzüge, die W----

Gedichtes von Fuchs heute in der Zeitung

1. XI 14 Gestern nach langer Zeit ein kleines Stück gut vorwärtsgekommen, heute wieder fast nichts, die 14 Tage seit meinem Urlaub sind fast gänzlich verloren. – Heute teilweise schöner Sonntag. In den Chotekschen Anlagen Dostojewskis Verteidigungschrift gelesen. Die Wache im Schloß und beim Corpskommando. Der Brunnen im Palais Thun. – Viel Selbstzufriedenheit während des ganzen Tags. Und jetzt vollständiges Versagen bei der Arbeit. Und es ist nicht einmal Versagen, ich sehe die Aufgabe und den Weg zu ihr, ich müßte nur irgendwelche dünne Hindernisse durchstoßen und kann es nicht. – Spielen mit den Gedanken an F.

3 XI 14 Nachmittag Brief an Erna, eine Geschichte der blinde Gast von Pick durchgesehn und Verbesserungen notiert, ein wenig Strindberg gelesen, dann nicht geschlafen, um 1/2 9 zuhause, 10 Uhr zurück, aus Angst vor Kopfschmerzen, die schon beginnen, und weil ich auch in der Nacht nur sehr wenig geschlafen hatte, nichts mehr gearbeitet, zum Teil auch deshalb, weil ich mich fürchtete eine gestern geschriebene erträgliche Stelle zu verderben. Der vierte Tag seit August, an dem ich gar nichts geschrieben habe. Schuld sind die Briefe, ich werde versuchen gar keine oder nur ganz kurze Briefe zu schreiben. Wie befangen ich jetzt auch bin und wie es mich herumwirft! Gestern abend der überglückliche Zustand, nachdem ich einige Zeilen von Jammes gelesen hatte, mit dem ich sonst nichts zu tun habe, dessen Französisch aber, es handelte sich um einen Besuch bei einem befreundeten Dichter so stark auf mich wirkte.

(Fortsetzung aus dem Ende des siebenten Heftes)

nicht die geringste Mühe dazu nötig. Aber auch der Inspektor betrat immer die Station mit einer Miene, als müsse er diesmal meine Mißwirtschaft unbedingt aufdecken. Die Tür der Hütte öffnete er immer mit einem Kniestoß und sah mich dabei an. Kaum hatte er mein Buch aufgeschlagen, fand er einen Fehler. Es brauchte lange Zeit, ehe ich durch nochmalige Rechnung vor seinen Augen ihm nachwies, daß nicht ich sondern er einen Fehler begangen hatte. Immer war er mit meiner Einnahme unzufrieden, dann schlug er klatschend auf das Buch und sah mich wieder scharf an. "Wir werden die Bahn einstellen müssen" sagte er jedesmal. "Es wird dazu kommen" antwortete ich gewöhnlich.

Nach beendeter Revision änderte sich unser Verhältnis. Ich hatte immer Schnaps und womöglich irgendeine Delikatesse vorbereitet. Wir tranken einander zu, er sang mit einer erträglichen Stimme, aber immer nur zwei Lieder, eines war traurig und begann: Wohiri gehst Du kleines Kind im Walde?, das zweite war lustig und fieng so an: "Fröhliche Gesellen, ich gehöre zu Euch! " Je nach der Laune, in die ich ihn zu versetzen imstande war, bekam ich meinen Lohn in Teilen ausgezahlt. Aber nur am Anfang solcher Unterhaltungen beobachtete ich ihn mit irgendeiner Absicht, später wurden wir ganz einig, beschimpften schamlos die Verwaltung, ich bekam geheime Versprechungen ins Ohr geflüstert über die Karriere, die er für mich erwirken wollte und schließlich fielen wir gemeinsam auf die Pritsche nieder in einer Umarmung die wir oft zehn Stunden nicht lösten. Am nächsten Morgen reiste er wieder als mein Vorgesetzter weg. Ich stand vor dem Zug und salutierte er drehte sich während des Einsteigens gewöhnlich noch nach mir um und sagte: "Also Freundchen, in einem Monat sehn wir uns wieder. Du weißt was für Dich auf dem Spiel steht. " Ich sehe noch sein mir mit Mühe zugewendetes verquollenes Gesicht, alles drängte in diesem Gesichte vor, die Wangen, die Nase, die Lippen.

Das war die einmalige große Abwechslung im Monat, bei der ich mich gehen ließ; war irrtümlich etwas Schnaps zurückgeblieben, dann soff ich es gleich nach der Abfahrt des Inspektors aus, meistens hörte ich noch das Abfahrtssignal des Zuges, während es schon in mich hineingurgelte. Der Durst nach einer solchen Nacht war fürchterlich; es war als ob in mir ein zweiter Mensch wäre, der aus meinem Mund seinen Kopf und Hals streckte und nach etwas Trinkbarem schrie. Der Inspektor war versorgt, der führte in seinem Zug immer großen Trinkvorrat mit sich, ich aber war auf die Reste angewiesen.

Dann aber trank ich den ganzen Monat lang nichts ich rauchte auch nicht, ich machte meine Arbeit und wollte nichts anderes. Es war wie gesagt nicht viel Arbeit aber ich machte sie gründlich. Ich hatte z. B. die Verpflichtung, die Geleise einen Kilometer weit rechts und links von der Station täglich zu reinigen und zu untersuchen. Ich hielt mich aber nicht an diese Bestimmung und ging oft viel weiter, so weit, daß ich gerade noch die Station sehen konnte. Bei klarem Wetter war das noch bei etwa 5 km Entfernung möglich, das Land war ja ganz flach. War ich dann soweit, daß die Hütte in der Ferne mir schon vor den Augen fast nur flimmerte, sah ich manchmal infolge der Augentäuschung viele schwarze Punkte sich zur Hütte hin bewegen. Es waren ganze Gesellschaften, ganze Trupps. Manchmal aber kam wirklich jemand, dann lief ich, die Hacke schwingend, die ganze lange Strecke zurück.

Gegen Abend war ich mit meiner Arbeit fertig und zog mich endgültig in die Hütte zurück. Gewöhnlich kam um diese Zeit auch kein Besuch, denn der Rückweg in die Dörfer war bei Nacht nicht ganz sicher. Es trieb sich verschiedenes Gesindel in der Gegend herum, aber es waren nicht Eingeborene, sie wechselten auch, sie kamen allerdings auch wieder zurück. Ich bekam die meisten zu sehn, die einsame Station lockte sie an, sie waren nicht eigentlich gefährlich, aber man mußte streng mit ihnen umgehn.

Sie waren die einzigen die mich um die Zeit der langen Dämmerung störten. Sonst lag ich auf der Pritsche, dachte nicht an die Vergangenheit, dachte nicht an die Bahn, der nächste Zug fuhr erst zwischen 10 und 11 Uhr abends durch, kurz ich dachte an gar nichts. Hie und da las ich eine alte Zeitung die man mir vom Zug aus zugeworfen hatte, sie enthielt Skandalgeschichten aus Kalda, die mich interessiert hätten, die ich aber aus der einzelnen Nummer allein nicht verstehen konnte. Außerdem stand in jeder Nummer die Fortsetzung eines Romans der hieß "die Rache des Kommandeurs". Von diesem Kommandeur, der immer einen Dolch an der Seite trug, bei einer besondern Gelegenheit hielt er ihn sogar zwischen den Zähnen, träumte ich einmal. Übrigens konnte ich nicht viel lesen, da es bald dunkel wurde und Petroleum oder ein Talglicht unerschwinglich teuer waren. Von der Bahn bekam ich für den Monat nur ein 1/2 Liter Petroleum geliefert, das ich lange vor Ablauf des Monats verbraucht hatte, um bloß abend während einer 1/2 Stunde das Signallicht für den Zug zu erhalten. Aber dieses Licht war auch gar nicht nötig und ich zündete es später wenigstens in Mondnächten gar nicht mehr an. Ich sah ganz richtig voraus, daß ich nach Ablauf des Sommers das Petroleum sehr dringend brauchen würde. Ich grub daher in einer Ecke der Hütte eine Grube aus, stellte dort ein altes Bierfäßchen auf und schüttete jeden Monat das ersparte Petroleum ein. Das ganze war mit Stroh zugedeckt und niemand merkte etwas. Je mehr es in der Hütte nach Petroleum stank, desto zufriedener war ich; der Gestank wurde deshalb so groß, weil es ein Faß aus altem brüchigem Holz war, das sich voll Petroleum tränkte. Später grub ich das Faß aus Vorsicht außerhalb der Hütte ein, denn der Inspektor protzte einmal mir gegenüber mit einer Schachtel Wachszündhölzchen und warf sie, als ich sie haben wollte, eine nach der andern brennend in die Luft. Wir beide und besonders das Petroleum waren in wirklicher Gefahr, ich rettete alles, indem ich ihn solange würgte bis er alle Zündhölzchen fallen ließ.

In meinen freien Stunden dachte ich öfters darüber nach, wie ich mich für den Winter versorgen könnte. Wenn ich schon jetzt in der warmen Jahreszeit fror – und es war, wie man sagte, wärmer als seit vielen Jahren – würde es mir im Winter sehr schlecht gehn. Daß ich Petroleum aufhäufte, war nur eine Laune, ich hätte vernünftiger Weise vielerlei für den Winter sammeln müssen; daß sich die Gesellschaft meiner nicht besonders annehmen würde, daran war ja kein Zweifel, aber ich war zu leichtsinnig oder besser gesagt ich war nicht leichtsinnig aber es lag mir zu wenig an mir selbst, als daß ich mich in dieser Hinsicht hätte sehr bemühen wollen. Jetzt in der warmen Jahreszeit gieng es mir leidlich, ich beließ es dabei und unternahm nichts weiter.

Eine der Verlockungen, die mich in diese Station gebracht hatten, war die Aussicht auf Jagd gewesen. Man hatte mir gesagt, es sei eine außerordentlich wildreiche Gegend und ich hatte mir schon ein Gewehr gesichert, das ich mir, wenn ich einiges Geld erspart haben würde, nachschicken lassen wollte. Nun zeigte sich daß von jagdbarem Wild hier keine Spur war, nur Wölfe und Bären sollten hier vorkommen, in den ersten Monaten sah ich keine, und außerdem waren eigentümliche große Ratten hier, die ich gleich beobachten konnte, wie sie in Mengen wie vom Wind geweht über die Steppe liefen. Aber das Wild, auf das ich mich gefreut hatte gab es nicht. Die Leute hatten mich nicht falsch unterrichtet, die wildreiche Gegend bestand, nur war sie drei Tagereisen entfernt, – ich hatte nicht bedacht, daß die Ortsangaben in diesen über hunderte km hin unbewohnten Ländern notwendiger Weise unsicher sein müssen. Jedenfalls brauchte ich vorläufig das Gewehr nicht und konnte das Geld für anderes verwenden; für den Winter mußte ich mir allerdings ein Gewehr anschaffen und ich legte dafür regelmäßig Geld beiseite. Für die Ratten, die manchmal meine Nahrungsmittel angriffen genügte mein langes Messer. In der ersten Zeit als ich noch alles neugierig auffaßte, spießte ich einmal eine solche Ratte auf und hielt sie vor mir in Augenhöhe an die Wand. Man sieht kleinere Tiere erst dann genau, wenn man sie vor sich in Augenhöhe hat; wenn man sich zu ihnen zur Erde beugt und sie dort ansieht, bekommt man eine falsche unvollständige Vorstellung von ihnen. Das Auffallendste an diesen Ratten waren die Krallen, groß, ein wenig gehöhlt und am Ende doch zugespitzt, sie waren sehr zum Graben geeignet. Im letzten Krampf, in dem die Ratte vor mir an der Wand hieng, spannte sie dann' die Krallen scheinbar gegen ihre lebendige Natur straff aus, sie waren einem Händchen ähnlich, das sich einem entgegenstreckt. Im allgemeinen belästigten mich diese Tiere wenig, nur in der Nacht weckten sie mich manchmal wenn sie im Lauf auf dem harten Boden klappernd an der Hütte vorbeieilten. Setzte ich mich dann aufrecht und zündete etwa ein Wachslichtchen an, so konnte ich irgendwo in einer Lücke unter den Bretterpfosten die von außen hereingesteckten Krallen einer Ratte fieberhaft arbeiten sehn. Es war ganz nutzlose Arbeit, denn um für sich ein genügend großes Loch zu graben, hätte sie tagelang arbeiten müssen und sie entfloh doch schon, sobald der Tag nur ein wenig sich aufhellte, trotzdem arbeitete sie, wie ein Arbeiter, der sein Ziel kennt. Und sie leistete gute Arbeit, es waren zwar unmerkliche Teilchen, die unter ihrem Graben aufflogen, aber ohne Ergebnis wurde die Kralle wohl niemals angesetzt. Ich sah in der Nacht oft lange zu, bis mich die Regelmäßigkeit und Ruhe dieses Anblicks einschläferte. Dann hatte ich nicht mehr die Kraft das Wachslichtchen zu löschen und es leuchtete noch ein Weilchen der Ratte bei ihrer Arbeit. Einmal in einer warmen Nacht, gieng ich, als ich wieder diese Krallen arbeiten hörte, vorsichtig, ohne ein Licht anzuzünden hinaus um das Tier selbst zu sehn. Es hatte den Kopf mit der spitzen Schnauze tief gesenkt, fast zwischen die Vorderbeine eingeschoben um nur möglichst eng an das Holz heranzukommen und möglichst tief die Krallen unter das Holz zu schieben. Man hätte glauben können, jemand halte in der Hütte die Krallen fest und wolle das ganze Tier hineinziehn, so sehr war alles angespannt. Und doch war auch alles mit einem Tritt beendet, durch den ich das Tier totschlug. Ich durfte bei völligem Wachsein nicht dulden, daß meine Hütte, die mein einziger Besitz war, angegriffen wurde.

Um die Hütte gegen diese Ratten zu sichern, stopfte ich alle Lücken mit Stroh und Werg zu und untersuchte jeden Morgen den Boden ringsherum. Ich beabsichtigte auch den Boden der Hütte, der bisher nur festgestampfte Erde war, mit Brettern zu belegen, was auch für den Winter nützlich sein konnte. Ein Bauer aus dem nächsten Dorf, namens Jekoz, hatte mir längst versprochen, zu diesem Zweck schöne trockene Bretter zu bringen, ich hatte ihn auch schon für dieses Versprechen öfters bewirtet, er blieb auch niemals längere Zeit aus, sondern kam alle 14 Tage, hatte auch manchmal Versendungen mit der Bahn auszuführen, aber die Bretter brachte er nicht. Er hatte verschiedene Ausreden dafür, meistens die, daß er selbst zu alt sei, um eine solche Last zu schleppen und daß sein Sohn, der die Bretter bringen würde, gerade mit Feldarbeiten beschäftigt sei. Nun war Jekoz nach seiner Angabe und es schien auch richtig zu sein weit über 70 Jahre alt, aber ein großer, noch sehr starker Mann. Außerdem änderte er auch seine Ausreden und sprach ein anderes Mal von den Schwierigkeiten der Beschaffung so langer Bretter wie ich sie brauchte. Ich drängte nicht, ich brauchte die Bretter nicht notwendig, erst Jekoz selbst hatte mich überhaupt auf den Gedanken gebracht, den Boden zu belegen, vielleicht war ein solcher Belag gar nicht sehr vorteilhaft, kurz, ich konnte ruhig die Lügen des Alten anhören. Mein ständiger Gruß war: "Die Bretter, Jekoz!" Sofort begannen in einer halb gelallten Sprache die Entschuldigungen, ich hieß Inspektor oder Hauptmann, oder auch nur Telegraphist, er versprach mir nicht nur die Bretter nächstens zu bringen sondern mit Hilfe seines Sohnes und einiger nachbarn meine ganze Hütte abzutragen und ein festes Haus statt ihrer aufzubauen. Ich hörte solange zu bis es mich müde machte und ich ihn hinausschob. Aber noch in der Tür hob er, um Verzeihung zu erlangen, die angeblich so schwachen Arme, mit denen er in Wirklichkeit einen erwachsenen Mann hätte zerdrücken können. Ich wußte, warum er die Bretter nicht brachte, er dachte bis der Winter näher käme, würde ich die Bretter dringender brauchen und besser bezahlen, außerdem hätte er selbst, solange die Bretter nicht geliefert seien, einen größern Wert für mich. Nun war er natürlich nicht dumm und wußte, daß ich seine Hintergedanken kannte, aber darin, daß ich diese Kenntnis nicht ausnützte, sah er seinen Vorteil und den wahrte er.

Alle Vorbereitungen aber, die ich machte, um die Hütte gegen die Tiere zu sichern und mich für den Winter zu verwahren, mußten eingestellt werden, als ich – das erste Vierteljahr meines Dienstes näherte sich seinem Ende – ernstlich krank wurde. Ich war bis dahin jahrelang von jeder Krankheit, selbst vom leichtesten Unwohlsein verschont geblieben, diesmal wurde ich krank. Es begann mit einem starken Husten. Etwa zwei Stunden landeinwärts von der Station entfernt, war ein kleiner Bach, aus dem ich in einem Faß auf einem Schubkarren meinen Wasservorrat zu holen pflegte. Ich badete dort auch öfters und dieser Husten war die Folge dessen. Die Hustenanfälle waren so stark, daß ich mich beim Husten zusammenkrümmen mußte, ich glaubte dem Husten nicht widerstehen zu können, wenn ich mich nicht zusammenkrümmte und so alle Kräfte zusammennahm. Ich dachte das Zugspersonal würde über den Husten entsetzt sein, aber sie kannten ihn, sie nannten ihn Wolfshusten. Seitdem begann ich das Heulen aus dem Husten herauszuhören. Ich saß auf dem Bänkchen vor der Hütte und begrüßte heulend den Zug, heulend begleitete ich seine Abfahrt. In den Nächten kniete ich auf der Pritsche, statt zu liegen und drückte das Gesicht in die Felle, um mir wenigstens das Anhören des Heulens zu ersparen. Ich wartete gespannt, bis das Springen irgendeines wichtigern Blutgefäßes allem ein Ende machen würde. Es geschah aber nichts derartiges und der Husten war sogar in wenigen Tagen vergangen. Aber ein Fieber blieb zurück und verlor sich nicht.

Dieses Fieber machte mich sehr müde, ich verlor alle Widerstandskraft, es konnte geschehn, daß mir ganz unerwartet auf der Stirn Schweiß ausbrach, ich zitterte dann am ganzen Leib und mußte mich, wo ich auch war, niederlegen und warten bis sich die Sinne wiederzusammenfanden.


Revision: 2021/01/09 - 23:40 - © Mauro Nervi